K. O. KIRSCHNER

RADLITZER DAMPFMOLKEREI

SMICHOV BEI PRAG.

ie grossen Erfolge, welche seit vielen Jahren speciell Schweden und Norwegen, Dänemark und Holland auf dem Gebiete des Molkereiwesens aufzuweisen haben, sind bekannt. Diesen Ländern zunächst kommt in diesem Fache Deutschland. Seit der Erfindung der Milchcentrifuge durch den deutschen Ingenieur Lehfeld fand ein gänzlicher Umschwung, und mit der Vervollkommnung dieser Erfindung eine ungeahnte Entwickelung des gesammten Molkereiwesens statt. Auch bei uns in Oesterreich, wo die Verhältnisse für die Entwickelung der Molkerei-Industrie nicht so günstig liegen wie in den Nachbarstaaten, hat das Molkereiwesen in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht. Die grossen Molkereien, die in unserem Vater­lande in den letzten zwei Decennien gegründet wurden, liefern den besten Beweis für die Entwickelung der Milch- wirthschaft, umsomehr als die meisten Betriebe in ausgezeichneter Weise eingerichtet sind und den Vergleich mit den bestausgestatteten ausländischen Molkereien durchaus nicht zu scheuen brauchen.

Die Radlitzer Dampfmolkerei in Smichov ist einer der allerneuest eingerichteten Betriebe dieser Art.

Dieselbe hat sich aus den bescheidensten Anfängen zu ihrer heutigen Ausdehnung emporgearbeitet und ist eigentlich aus der landwirtschaftlichen Nothlage, welche durch den stetigen Rückgang in den Preisen der Feld­früchte und durch die in der Nähe der Grosstadt immer ungünstiger werdenden Arbeiterverhältnisse herbeig-eführt wurde, herausgewachsen. Durch die schlechten Getreide- und Rübenpreise wurde der heutige Besitzer der Radlitzer Molkerei, Maschinen-Ingenieur Karl Otto Kirschner, genötigt, nach Mitteln zu suchen, um die Einnahmen auf dem von Seiner Durchlaucht dem Fürsten Johann Adolf zu Schwarzenberg gepachteten Gute Radlitz bei Prag zu erhöhen, und verfiel auf den naheliegenden Gedanken, dies durch directe Verwerthung der Milch an den Consumenten zu erreichen.

Die dreimalige Inserirung am 12., 13. und 14. März 1882 hatte die Bestellung auf einen halben Liter kuhwarmer Milch täglich zur Folge! Nicht, dass kein Bedarf nach guter Milch und guten Milchproducten gewesen wäre, aber das Publicum war zu oft durch schlechte Lieferungen getäuscht worden und hatte das Vertrauen zu dem directen Bezug durch den Producenten verloren.

So gieng die Sache also nicht. Es galt nun vor Allem, durch tadellose Qualität der Radlitzer Milch einen guten Namen zu machen, und es brauchte volle fünf Jahre, also bis zum Jahre 1887, ehe die gesammte Milch aus .den Radlitzer Stallungen, circa 300 Liter, direct abgesetzt wurde.

In dieses Jahr fällt auch die Eröffnung der ersten Regieniederlage, sowie die Einrichtung der Kindermilch­anstalt, die mit Benützung der in den gleichen Anstalten zu Wien, Berlin und Frankfurt gesehenen Einrichtungen angelegt wurde. Die Fütterung der Kühe erfolgte und erfolgt noch heute nach der Vorschrift des Hofrathes Professor Dr. Widerhofer mit Trockenfutter ohne Benützung von Fabriksabfällen, was auf die gleichmässige Zusammen­setzung der Milch, bei der Kinderernährung bekanntlich die Hauptsache, einen ausserordentlich günstigen Ein­fluss ausübt.

Die Einrichtung der ersten Regieniederlage hatte eine bedeutende Geschäftserweiterung zur Folge. Es wurde nöthig, noch fremde Waare anzukaufen, weshalb mit Rücksicht auf den immer steigenden Absatz ein Ueber- einkommen mit dem energischen und unternehmungslustigen Besitzer der Domäne und Dampfmolkerei Kanitz bei Pilsen, Robert Ritter von Skoda, getroffen wurde, wonach sich derselbe verpflichtete, Rahm aus seiner Molkerei an das Radlitzer Etablissement zu liefern, ganz in der Art und Weise, wie dies heute in Deutschland allgemein von den Rahmstationen aus an die mit ihnen in Verbindung stehenden Molkereien geschieht. Es dürfte dies aber damals wohl die erste Centrifugenrahmlieferung auf weitere Distanz in Oesterreich gewesen sein.

Von nun an entwickelte sich der Betrieb viel rascher. 188g stellte der Besitzer von ihm selbst construirte Apparate zum Sterilisiren der Kindermilch, sowie zum Sterilisiren der für dieselbe gebrauchten Flaschen und Ver­schlüsse auf, und dieselben sind bis zum heutigen Tage zur vollsten Zufriedenheit im Gebrauch.

Zum Beweise der tadellosen Functionirung dieser Apparate mag angeführt werden, dass der Jury der temporären Molkerei-Ausstellung anlässlich der Landesausstellung in Prag im Jahre 1891 sterilisirte Kindermilch, welche am 9. Jänner 1889 sterilisirt worden, somit 2 Jahre 7 Monate alt war, vorgeführt und von derselben als völlig intact anerkannt wurde. Auch die Radlitzer Sterilisiranstalt entwickelt sich zur vollsten Zufriedenheit weiter.

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