Der österreichische Verein für chemische und metallurgische Production besitzt derzeit vier grosse Fabriken, und zwar die Stammfabrik zu Aussig, die chemische Fabrik zu Kralup a. d. Moldau, die Ammoniaksodafabrik zu Ebensee und die Ammoniaksodafabrik zu Maros-Ujvar in Sieben­bürgen, die beiden letzteren Unternehmungen in Gemeinschaft mit der Firma Solvay & Co.

Während der Zeit des Bestandes dieser Unternehmung sind seitens des österreichischen Vereines eine Reihe von Verfahrungsarten erfunden und durchgeführt worden, welche wesentliche Fortschritte auf dem Gebiete der chemischen Gross-Industrie bedeuten. In erster Reihe steht hier das Verfahren der Ver- werthung der Sodarückstände. Bei dem Betriebe der Leblanc-Sodafabrication resultiren bekanntlich Rück­stände in Form des sogenannten Sodaschlammes, welche einen lästigen Abfall bilden, der, wo er nicht, wie in England, durch directes Versenken ins Meer unschädlich gemacht werden konnte, zur Quelle von schwerwiegenden Uebelständen wurde. Diese gaben alsbald Veranlassung zu vielfachen Beschwerden, die dringend Abhilfe erheischten, so dass es zu einer Lebensfrage für die Aussiger Fabrik wurde, die Unschädlichmachung dieser Rückstände in irgend welcher Form zu bewirken. Diese Aufgabe wurde im Jahre 1863 durch den damaligen technischen Director in Aussig, Herrn Max Schaffner, vollständig gelöst, indem derselbe ein ebenso einfaches als ingeniöses Verfahren ersonnen hat, mit Hilfe dessen nicht nur die völlige Unschädlichmachung der Sodarückstände erreicht wurde, sondern zugleich durch die Gewinnung eines grösseren Theiles ihres Schwefelgehaltes, eine gewinnbringende Verwerthung der­selben möglich wurde. Das Verfahren Schaffners, welches alsbald Gemeingut der gesammten Leblanc- Soda-Industrie wurde und später noch weitere Verbesserungen erfahren hat, liefert vollständig unschäd­liche, hauptsächlich aus kohlensaurem Kalk und Gyps bestehende Rückstände, gegen deren Deponirung selbst in der Nähe bewohnter Orte keinerlei Anstand obwaltet.

Bei der Durchführung des Verfahrens der Aufarbeitung der Sodarückstände bestand anfangs eine Schwierigkeit, die darin lag, dass der aus den Sodarückständen abgeschiedene Schwefel in Form eines feinen Schlammes auftrat, dessen Trennung von der Flüssigkeit umständlich war. Schaffner kam auf den Gedanken, die Abscheidung des Schwefels durch Schmelzung desselben in der Flüssigkeit unter höherem Drucke zu bewirken, was vollständig gelang, und nicht nur eine Verbesserung in dem Verfahren der Aufarbeitung der Sodarückstände bedeutete, sondern überdies Veranlassung gab, das Ausschmelzen des Schwefels mit Hilfe von Dampf unter höherem Drucke auch bei natürlichen Schwefelerzen zu versuchen.

Dieser Versuch, der in Aussig mit einer grösseren Partie von sicilianischem Schwefelerz ausgeführt wurde, lieferte ein vollständig befriedigendes Resultat und gab den Anstoss, dass die Gewinnung von Schwefel aus Schwefelerzen durch Ausschmelzen desselben mittelst Dampf in Sicilien praktisch einge­führt wurde.

Der Umstand, dass Schaffners ursprüngliches Verfahren der Schwefelgewinnung aus Sodarückständen nur etwa 60% des in diesen in gewinnbarer Form enthaltenen Schwefels mit Vortheil zu gewinnen ge­stattete, veranlasste Schaffner eine Ausgestaltung und Vervollkommnung seines Verfahrens in der Rich­tung der Erhöhung der Schwefelausbeute zu versuchen, und es gelang ihm, im Jahre 1877 in Gemein­schaft mit dem technischen Director der Aussiger Fabrik, Herrn Wilh. Helbig, ein Verfahren auszu­bilden, welches es ermöglichte, fast den ganzen ausbringbaren Schwefel aus den Sodarückständen zu ge­winnen und gleichzeitig den Kalk in Form von direct weiter verwerthbarem kohlensauren Kalk nutzbar zu machen.

Dieses Verfahren, welches Gegenstand des englischen Patentes vom 9. März 1878 wurde, gründet sich auf die Anwendung von bis dahin nicht bekannten Reactionen. Dasselbe erregte in den Kreisen der chemischen Industriellen gerechtes Aufsehen und wurde auch von Chance in Oldenburg in England in grossem Maassstabe und mit solchem Erfolge eingeführt, dass die Kosten der aus solchem Schwefel gewonnenen schwefeligen Säure nur die Hälfte derjenigen betrugen, welche bei Verarbeitung spanischer Kiese sich ergaben, ein Umstand, der die spanischen Kiesgrubenbesitzer, welche damals England fast ausschliesslich mit Schwefelkiesen versorgten, so ängstlich werden liess, dass sich dieselben bestimmt sahen, den Preis ihres Schwefelkieses auf die Hälfte herabzusetzen, wodurch ein allgemeiner Rückgang in den Kiespreisen herbeigeführt wurde, der nach der einen Seite zu einer wesentlichen Verbilligung der Schwefelsäure führte, nach der anderen Seite aber der vortheilhaften Anwendung des in Rede stehenden Verfahrens der Schwefelgewinnung aus Sodarückständen ein Ziel setzte. Der chemischen Fabrik Aussig, beziehungsweise ihrem damaligen Generaldirector Schaffner, gebührt somit das Verdienst, durch das Ver-

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