allem darf die Bezeichnung- dieser Specialitäten nur eine auf Gehalt oder Wirkung zutreffende sein, die Bereitungsvorschrift muss in allen Verkaufsstellen aufliegen, und da sie durch Patent nicht geschützt werden kann, ist der Nachahmung Thür und Thor geöffnet; starkwirkende Arzneimittel sind von der Ein­verleibung in solche Arzneispecialitäten, welche im Handverkaufe abgegeben werden, vollkommen aus­geschlossen, und jedes neue pharmaceutische Erzeugnis muss ausserdem vor dem Vertriebe bei der politischen Behörde erster Instanz angemeldet werden, und kann mit demselben erst begonnen werden, bis die amtliche Verständigung herablangt, dass gegen den Artikel nichts einzuwenden ist. Trotz dieser grossen Schwierigkeiten hat sich doch zum Theil noch von früherher eine grosse Zahl Arznei­specialitäten in den Apotheken erhalten, unter denen heute wohl der Chinaeisenwein von Dr. Serravallo in Triest die erste Rolle spielt.

Die älteste Arzneispecialität dürfte der Venezianische Theriak gewesen sein, welcher schon im Mittelalter unter grossem Ceremoniell auf dem Marcusplatze von Venedig, unter Aufsicht des Dogen selbst, 'm grossen hergestellt und sodann in die ganze Welt verschickt wurde. In Oesterreich dürften wohl zuerst die folgenden, heute noch gangbaren Specialitäten in grösseren Aufschwung gekommen sein: Molls Seidlitz- pulver und Molls Franzbranntwein, dann Popps Anatherin-Mundwasser, Kwizdas Veterinärmittel, Bergers Theerseifen etc. Von den jetzt noch gangbaren Arzneispecialitäten seien hier ferner angeführt: Abführ­pillen (von Brady, Kleewein, Maly, Neustein, Pserhofer etc.), Agatol, Badener Schwefelextract, -Crème und -Seife, verschiedene Arten von Balsamen, Bandwurmkapseln, Blaudsche Pillen, Cascara-Sagrada- Pastillen (Barbers), Coniferensprit, verschiedene Arten von Chinaweinen und Chinaeisenweinen, Davids Thee, Eichelcacao, Eisen- und Eisenmangan-Präparate (Albuminate, Peptonate, Saccharate), Eisenzucker, Glycerin-Toiletteartikel, Heidelbeerwein, Kalicrême, Kalkeisensyrup, Kalodont, Kefirpulver, Kindermehl, Kindernährmehl mit 20% Pflanzeneiweiss, Kindersuppenextract (Liebigs), Kolapräparate, Laabessenz, Leberthran, Magentropfen (von Brady, Fürst u. a.), Malzextracte und Malzbonbons (von Hell u. a.), Medicinalseifen, Medicinalweine, Mundwässer (von Ebermann, Ivothe, Pfeffermann, Popp, Roesler u. a.), Odol, Osan, Pepsinweine, Phosphor-Chocoladepastillen, Senfpapier, Somatose-Cacao und -Chocolade, Speise­pulver, Spitzwegerichbonbons, Hebras und Höfers Streupulver, Hells Tamarinden-Pastillen, Touristen­pflaster, Vaselinpräparate, Vasolpräparate (von Hell & Comp.) etc.

4. Arzneiumhüllungsmittel sind in erster Linie Gelatinekapseln und Medicinaloblaten, die wir schon oben ausführlich behandelt haben; hieher wären aber auch die Dragés zu rechnen, d. h. mit Zucker, Cacao oder Chocolade überzogene Pillen, sowie keratinirte, d. h. mit einer Hornlösung überzogene Pillen, welche nicht im Magen, sondern erst im Darme zur Lösung gelangen, was bei gewissen Krank­heiten, beziehungsweise Arzneimitteln, von grosser Wichtigkeit ist.

Wenn wir in diese Kategorie auch noch jene Arzneiformen rechnen, welche nicht gerade Umhüllungs­mittel sind, aber doch das Médicament in einer leichter anwendbaren Form zur Wirkung bringen sollen, so seien hier ferner erwähnt: Aetzstifte (aus Kupfersulfat, Alaun etc.), Anthrophore (Metallspiralen, welche mit einer Masse überzogen sind, in die das Médicament incorporât wird, um in Körperhöhlen eingeführt zu werden), Asthma-Cigaretten, Collaetine, Collemplastra, Comprimés (comprimirte Arzneipulver), Glycerin-Suppositorien, Kefirpräparate von Lang etc. (Milchwein mit medicamentösen Zusätzen), Bergers Medicinalseifen von G. Hell & Comp.), Migränstifte (Mentholstifte), Pflastermulle, Senfpapier, pharmaceu­tische Zuckerwaaren. Alle diese Artikel sind aber eigentlich als Arzneispecialitäten anzusehen, ja, die Verordnung vom 17. December 1894 bezeichnet gerade nur diese Artikel, welche einen Fortschritt in Bezug auf die äussere Form bedeuten, als pharmaceutische Specialitäten, während sie die anderen Arznei­specialitäten als Arzneizubereitungen und Handverkaufsartikel zusammenfasst.

5. Serumpräparate sind Producte der allerjüngsten Zeit. Seitdem Behring und Roux das Diphtherie-Heilserum entdeckt haben, hat diese Art von Heilmitteln eine grosse Bedeutung erlangt; gegen alle möglichen Infectionskrankheiten trachtet man ein immunisirendes Blutserum herzustellen, indem man Thiere mit den betreffenden Krankheitskeimen impft und dann das mit dem Antitoxin derselben Krank­heit gesättigte Blut abzapft und das Serum des Blutes nach entsprechender Conservirung in den Ver­kehr bringt. Diese Serumpräparate sind auf die Erzeugung im grossen angewiesen, und ist hiefür in Wien eine staatliche Anstalt errichtet worden, welche sich im Rudolfspitale befindet.

6. Organpräparate sind ebenfalls erst in den allerletzten Jahren in die Medicin eingeführt worden, obwohl solche thierische Producte in früheren Jahrhunderten und selbst im Alterthum einen bedeutenden Theil

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