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Nach den amtlichen Ausweisen der Justizverwaltung waren in demselben Jahre: bei den Bezirksgerichten rund 1,107.000 und bei den Gerichtshöfen rund 1150 Vormundschaften für Waisen anhängig. Man nehme nun bei dieser Million den gewiss kleinen Bruchtheil von etwa 2l)o/o gänzlich unbemittelten, hilflosen Waisen, und man wird das kolossale Missverhältnis klar erkennen, welches gegenüber diesen Hunderttausenden im Schuldbuche der Öffentlichkeit und der Verwaltung verzeichnet steht! Und da klagt man noch, dass man keine Dienstboten erhält, wenn man solche Massen zur Verfügung hat!
In der Regel bleiben die Mädchen nur bis zum Abschlüsse des volksschulpflichtigen Alters in den Waisenanstalten und kommen dann „in die Lehre" oder „in einen Dienst", wenn sie nicht, falls sie väterlicherseits Halbwaisen sind, gegen eine kleine Unterstützung der Mutter zurückgegeben werden. Nun ist aber die Controle über solche Waisen gerade auch nicht die stärkste Seite unserer Verwaltung. Sehr richtig ist in dieser Hinsicht bemerkt worden*): „Wenige Ausnahmen zugegeben, krankt unsere ganze Wagenpflege daran, dass sie den Schützlingen den Schutz in einem Alter entzieht, in welchem sie der Führung und des Schutzes am meisten bedürfen. So wird mit der einen Hand niedergerissen, was mit der anderen aufgebaut oder aufzubauen versucht worden ist." Da ist der Punkt, wo eine vernünftige Reform einsetzen müsste: Die Mädchen dürfen nicht ohne eine gewisse fachliche Erziehung aus solchen Anstalten entlassen werden; das Waisenhaus selbst muss die Stätte sein, wo sie diese Erziehung und damit die Hauptrichtung für ihr Leben erhalten. Selbstverständlich sollte sie in erster Linie den Beruf als Dienstbote ins Auge fassen, und nur bei ausgesprochenem Talente sollte ein anderer Weg eingeschlagen werden. Allerdings würde dies eine Verlängerung des Aufenthaltes des Pfleglings in der Anstalt um wenigstens ein Jahr — so lange muss man unbedingt auf die Ausbildung rechnen — bedeuten. Finanziell käme aber Hiebei in Betracht, dass die jetzt gewährten Unterstützungsbeträge wegfielen, dass das von den Zöglingen Geleistete auch in Anschlag gebracht werden muss, endlich dass die Verwirklichung dieser so dringenden Re-
*) In dem Artikel von K. Migerka: „Auch eine sociale Aufgabe" (Zeitschrift für österr. Volksschulwesen, Wien 1899, S. 65). Daselbst ist auch die umfassende Thätigkeit des „Freiwilligen Erziehungsbeirathes für schulentlassene Waisen" in Berlin geschildert, welcher 1896 220 Bezirksausschüsse, 889 Vereinsmitglieder, 1473 Pfleger und Pflegerinnen, 165 fachmännische Beiräthe, darunter 80 Ärzte, zählte.