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der Hausfrau viele Arbeit für die Familie aus der Hand, su tritt ihr dafür die Verpflichtung entgegen, den (leist der Häuslichkeit lebendig zu erhalten, den Sinn für das Edle, die Fähigkeit, das Schöne zu gemessen, in der empfänglichen Seele des Kindes aus­zubilden, als Schutzgeist gegen das Gemeine, das an seine Seele herantritt, sobald es den Frieden des Hauses verlassen muss und sein Leben selbstständig gestaltet. Durch solches Können wird die Frau, ohne in das Gebiet hoher Kunst einzutreten, zur Mit­arbeiterin an der Bildung ihres Volkes, an der Oultiir der Mensch­heit. Wie einsame Sterne glänzen aus vergangenen Tagen Frauen- Namen, deren Trägerinnen ihr Leben der Kunst, der Wissenschaft weihten: Sabine von Steinbach, Margarethe von Evk, Kachel Kuvsch, oder Olympia Morata, Caroline Hersehel, Frau von Stael und manch anderer glänzender Namen noch.

Der Zweck der Bunt-Stickerei ist die Deeoration, sie will die Langeweile leerer Flächen und unausgefüllter Ecken bekäm­pfen. Die Frauen des Mittelalters stickten zu solchem Zweck ganze Wandbekleidungen, und wurde deren Kunstfertigkeit durch Chroniken, Minnesänger und Grabschriften gepriesen. Unserem reicher gegliederten Leben fehlt die Stufe für solche Arbeiten, und schon ein gestickter Fuss-Teppich verletzt uns die feiner gewordene Empfindung vom Werthe der Zeit. Wo die Stickerei als Kunst, als Malerei mit der Nadel geübt ward, stand die Plattstich-Stickerei oben an; seit die Mode die gestickten Gala- Kleider der Männer verlassen hat, ward auch diese Hebung zum Theil vergessen. Mit Stickereien bedeckte Roben, wie Pariser Mode-Magazine, Farbe auf Farbe, sie ausgestellt, gehören heut­zutage zu den Ausnahmen selbst der eleganten Frauen-Toilette. .lene hübschen, buntgestickten .Jäckchen, welche die Eröffnung des Suez-Kanals zu uns brachte (aus Triest und Constantinopel waren Dilettantinnen-Arbeiten dieser Art ausgestellt), gelten uns doch nur als Ergänzuug eleganter Haus-Toiletten und scheinen unserem Strassenleben nicht anzupassen. Die Völker, bei denen wir auf dem Gebiete der Bunt-Stickerei zur Schule gehen können, sind die des Orients mit ihrem Farbensinn und Phantasie-Reich­thum. Die Phantasie entspringt aus einer gewissen Kindlichkeit