Indessen war der Waarenhandel vor hundert Jahren doch gut geführt. Er war von unten, aus dem Lande selbst, mit kleinen Anfängen entstanden und arbeitete solid und wohl­feil, weil ohne die Noth Wendigkeit grosser Capital Verzinsung. Die Kosten der Güter Verfrachtung waren daher billig, und es ist deshalb der Unterschied zwischen Einst und Jetzt in Bezug auf die Kosten der Waarenfracht nicht so gross, als man oft geglaubt hat. Wir besitzen zuverläs­sige Daten über die Frachten ab Reichenberg in Böhmen aus der Voreisenbahnzeit. Darnach kann man in der Zeit von 18501898 eine VerWohlfeilung der Fracht für Fabricate um kaum mehr als 5060 Procent annehmen, während Massengut allerdings mehr gewonnen hat.

Weit grösser war der Fortschritt im Personenverkehre. Seit dem Jahre 1730 gieng an jedem Donnerstag Mittag eine Stellfuhr von Wien nach Triest ab. Im Sommer war man 9, im Winter 1012 Tage unterwegs. Nachtfahrt gab es nicht. Ein Reisender (mit 50 Pfund Freigepäck) zahlte von Wien bis Graz 4, von Graz bis Laibach 4, von Laibach bis Triest

2 Gulden, zusammen 10 Gulden. Ein Centner Uebergepäck kostete von Wien bis Triest

3 Gulden. Die Fahrt vertheuerte sich noch durch Brücken-, Weg- und Pferdemauthen, sowie Waarenmauthen; erstere zahlte der Fuhrmann, letztere der Reisende. Dazu kamen die Aus­lagen für Zehrung und Nachtquartier, so dass die Gesammtkosten für die Reise WienTriest sich auf 253o Gulden belaufen mochten. Heute beträgt der Fahrpreis für eine Person im Personenzuge der dritten Classe WienTriest 12 Gulden. Der ungeheure Unterschied liegt aber nicht im Preise, sondern in der Unbequemlichkeit, der wirklichen Anstrengung und be­sonders in der Zeitdauer. Wer persönlich in Triest sein musste, brauchte damals, wenn er nicht etwa ritt oder Sonderfuhren benützen konnte, im besten Falle hin und her 18, im un­günstigeren 2024 Tage, während er diese Reise heute in 36 Stunden abmacht. Also heute eine Abkürzung um das i3iöfache! Ist aber eine persönliche Anwesenheit in Triest nicht nöthig, so bedient man sich des Telegraphen und Telephons und erledigt dadurch sein Triester Geschäft in einigen Stunden oder gar in einigen Minuten. Bis beispielsweise ein Wiener Kauf­mann vor 120 Jahren auf der Reise nach Triest am Semmering angekommen war, hat der Mann der Neuzeit, sagen wir ein Baumwollspinner, von Wien aus telegraphisch schon mit Liverpool, Havre, Bremen und vielleicht auch mit Bombay und New-York gesprochen, hat die Wiener Börse besucht und dazwischen dreimal die Ansicht seiner in Böhmen gelegenen Fabrik gehört, und sein telephonisch nach Triest gegebener Auftrag überholt den Reisenden der alten Zeit, bevor dessen Stell wagen noch die Vorberge des Semmering erklommen hat. Gewöhnt an alle Herrlichkeiten des Erfindungsgeistes und der Technik, macht man sich selten diesen riesenhaften Unterschied von Einst und Jetzt völlig klar diese unglaubliche Ersparung an Zeit, Kraft und Geld, und diese mächtige Zusammendrängung der Thätigkeit in den Centren des neuzeitlichen Verkehres, woraus eine entsprechende Vermehrung der Wirksamkeit und der Frucht dieser Thätigkeit hervorgeht. Für den Einzelnen wird dieser Nutzen dadurch gekürzt, dass auch alle Concurrenten den gleichen Vortheil geniessen. Das Ergebnis ist also weniger ein Vortheil des einzelnen Geschäftsmannes, als des Verbrauchers und der Gesammtheit.

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ie Grundlage für die ungeheure Entwicklung des Handels der Neuzeit sind, wie ge­sagt, die Eisenbahnen, deren Entstehung in grösserem Stile mit dem Beginne der Regierung Sr. Majestät zusammenfällt.

Die Eisenbahnen waren es denn auch, welche erst die technischen Voraussetzungen für die Gross-Industrie schufen. Mit den Entfernungen schwand die bisherige Trennung der Per-

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