wirthschaftlichen Bedürfnissen einer grossen Stadt. Seine Darstellung des Niederganges der Baugewerbe führte eine überzeugende Sprache, und ebenso leuchtete es ein, dass die Kunst­industrie bei der Beschränktheit der bürgerlichen Wohnungen sich nicht zu allgemeiner Blüthe emporringen konnte. War es doch nichts Ungewöhnliches, dass' wohlhabende Bürger ihre Gäste in Zimmern empfingen, deren eigentliche Bestimmung durch Rahmen über den Bett­stellen kaum maskirt wurde.

Was in der genannten Schrift vorgebracht wurde, schien zu den frommen Wünschen zu gehören. Allein noch in demselben Jahre wurden durch das kaiserliche Machtwort die Fesseln Wiens gesprengt. Die Befestigungswerke sollten beseitigt werden, damit die Stadt sich erweitern könne. Das Wort wirkte mit Zaubergewalt. Was man kaum zu träumen gewagt hatte, war plötzlich Wahrheit geworden, und man konnte nicht erwarten, die Basteien fallen, die Gräben ausgefüllt zu sehen. Diese Ungeduld trug wohl das Ihrige dazu bei, dass Ueberhastung die ausserordentliche, nie wiederkehrende Gelegenheit nicht im vollen Umfang ausnützen Hess. Vor Allem stiess der mit besonderem Nachdrucke von R. v. Eitelberger und H. Ferstel in einer gemeinschaftlichen Schrift geltend gemachte Wunsch, auf der breiten Glacisfläche bürgerliche Wohnhäuser mit Vorgärten wie in so mancher grossen Stadt erstehen zu lassen, auf unüberwindliche Hindernisse.

Dafür leitete der sofort mit Energie in Angriff genommene Bau eines neuen Opern­hauses die neue Periode des Wiener Kunstgewerbes ein. Die Künstlernatur van der Nülls und die Bestimmung des Gebäudes trafen auf das Glücklichste zusammen, um hier einen herrlichen Wahlplatz für alle decorativen Künste zu schaffen. Und in der That wird dieses Gebäude auch darin stets bemerkenswerth bleiben, dass zu seiner Ausschmückung die ersten Kräfte der Zeit berufen worden waren, neben Schwind, Rahl und mehreren seiner besten Schüler, wie Aug. Eisenmenger und Christ. Griepenkerl, auch Eduard Engerth, Ferdinand Laufberger, Friedrich Sturm, Josef Storck, dem sein Lehrer van der Nüll die Leitung der inneren Ausstattung an vertraute. Die Namen Storck, Laufberger, Sturm standen denn auch in erster Reihe, wenn in der Folge das Bedürfnis nach decorativem Schmuck höherer Ordnung sich äusserte, wie bei Gelegenheit der Prachtbauten von Dräsche (Heinrichshof), Todesco u. s. w.

In England war man unmittelbar nach der grossen Ausstellung entschlossen an die praktische Ausnützung der von ihr ertheilten Lehren geschritten. Noch im October 1851 erstattete Semper dem Prinzen Albert den verlangten Bericht in der Schrift «Wissenschaft, Kunst und Industrie» und verfasste bald darauf in englischer Sprache den umständlichen Organisationsplan für ein Museum der technischen Künste, denen bis dahin in Museen niemals neben Malerei und Plastik eigene Räume gegönnt worden waren. Die Einrichtung der Anstalt, die unter dem Namen «South Kensington Museum» weltberühmt und Vorbild zunächst für ganz Europa geworden ist, beanspruchte natürlich längere Vorbereitungen, doch schon im Frühsommer veröffentlichte das Science and Art Department den Plan für ein ganz England überspannendes Netz von populären Zeichenschulen. Die Kunde von diesen Be­strebungen drang auch zu uns, doch liess sich nicht so bald erkennen, wie und mit welchem Erfolge die Reformarbeit in Angriff genommen werde, da die zweite «Weltausstellung», Paris 1855, leider viel zu früh kam zu früh für diesen besonderen Zweck und verhängnisvoll für die Weiterentwicklung des Ausstellungswesens und der Industrie, die nach diesem Beispiele nicht mehr die Müsse für die Verdauung des neuen Stoffes, für ruhiges Studiren und Probiren behielt, sondern Jahrzehnte hindurch zu rastlosem Produciren angetrieben wurde. Wohl war

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