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Erster Theil
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nur wenige hundert Schritte von dem großen Tempel entfernt, dicht am Strome, ist kleiner und weniger schön. Etwas weiter stromabwärts steht man eine, im Niveau des Stromspiegels in ei- *

ncr Felsennische sitzende, Figur, welche die Araber el Keahle,die Messende" nennen. Sie hält in ihren erhobenen Händen ein ge­fülltes Getreidemaß und scheint im Begriff, dasselbe auszuschütten.

Die Keahle ist offenbar nur ein Sinnbild der zu hoffenden Frucht­barkeit deS neuen Niljahres. Ihre Augen sind nach dem Strome gerichtet, als wolle sie sein größeres oder geringeres Wachsthum beobachten. Steigt er nur so hoch, daß er bloß ihre Füße benetzt, dann hält sie das Maß des zu erwartenden, leicht zu berechnenden Getreides noch hoch erhaben das Jahr wird eine arme Ernte bringen; verschwindet aber ihre Gestalt ganz unter den braunen Wellen, dann verschwindet mit ihr auch alles Maß des kommen­den Segens.

Wir verließen nach kurzer Besichtigung die erhabenen Monu­mente und zogen weiter. Am folgenden Tage sahen wir wieder­um eine am rechten Ufer, hoch auf einem isolirt aufsteigenden Fel­sen in Trümmern liegenden Feste. Es ist El-Edjaht. Den Fuß des Felsenberges bedecken viele Grabmäler. Nach der Mei­nung des Volkes bezeichnen sie dieKHLbühr el Sähähb", die Gräber der heiligen Streiter des Jslahm, welche hier im Kampfe mit den Ungläubigen und Ketzern ihren Tod fanden.

Dem Reisenden fällt die ewige Bettelei der Kinder und Er­wachsenen aller nubischen Dörfer sehr zur Last. Bis hierher er­strecken sich noch die Reisen der gewöhnlichen Touristen, welche das Volk durch kleine Geschenke so verwöhnt haben, daß man in Dör­fern, zumal wenn man europäisch gekleidet ist, sogleich von einem Haufen nackter Knaben oder in Lumpen gehüllter Erwachsenen umringt und mit den im Chor geschriecncn Worten: tMt Lskll8elii68cii!" (Herr, gieb uns ein Trinkgeld!) förmlich ver­folgt wird. Selbst ganz kleine Kinder rufen dem Fremden schon »

Bakhschicsch" entgegen; es sind die ersten Laute, welche sie stam­meln lernen. Gegen die oft die Grenzen himmlischer Geduld und diese besaß ich nie übersteigenden Anmaßungen der Erwach-