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Das Schärfen ist selten, dagegen das Poliren fast ausschliesslich Beschäftigung von Frauenspersonen. Die Arbeiten an sich sind in 8 bis 14 Tagen erlernt, allein zur Aneignung einer grösseren Fertigkeit und um namentlich sicher zu sein, die Glasgegenstände nicht durch falsches Auflegen auf den Scheiben aus der Form zu bringen, bedarf es einer längeren Uebung. Da bei den fraglichen Arbeiten die Leute stets sitzen und die Hände den ganzen Tag im kalten Wasser haben müssen, während andererseits Glas- und Trippelstaub eingeathmet wird, stellen sicli vielfach Lungenübel ein.

Die Arbeiterinnen haben meistens gar keine Schulbildung; die Eltern verwenden, um mehr zu verdienen, oft schon die Kinder so früh zu diesen Arbeiten, dass diese nicht nur den Schulbesuch vernachlässigen, sondern auch in ihrer körperlichen Entwicklung gehemmt werden. Zumeist sind Arbeiterinnen von 12 bis 30 Jahren beschäftigt. Die Arbeiter und Arbeiterinnen sind grösstentheils Eingeborne des Gablonzer und Tannwalder Bezirkes; selten Auswärtige.

Der Verdienst der Arbeiterinnen ist ein sehr precärer. Der Arbeits­lohn für das Schärfen beträgt nämlich ein Drittheil des für die ganze Ausfertigung eines Gegenstandes zu zahlenden Gesammtlohnes; wenn also z. B. für 100 Stück vierzölliger Prismen 1 fl. 60 kr. Schleiflohn bezahlt wird, so entfallen für das Schärfen 53 kr. Ein Vierttheil des Gesammtlohnes kommt auf den Polirer, das übrige auf den Schneider oder Schleifer. Das meiste, was ein Schärfer per Woche verdienen kann, ist 4 bis 5 fl.; beim Schneiden 6 bis 8 fl., beim Poliren 2 bis 3 fl. Der geringste Wochenlohn beträgt bei dem ersten 3 fl., bei dem zweiten 4 fl. und bei dem letzten 1 fl. 50 kr. Der durchschnitt­liche Wochenlohn für das Schärfen ist 4 fl., für das Schneiden 6 fl. und für das Poliren 3 fl.

Bei Fabrikanten, welche eigene Schleifmühlen besitzen und sogenanntes englisches Glas erzeugen, d. h. Lusterglas, wie: Prismen,, Pendeloquen, Lusterspitzen, Leistein, Wachteln, Koppen, Kettensteine u. s. w., haben die Arbeiter keinen sogenannten D*reher­lohn abzuzahlen, wohl aber ist dies bei Luxus-Gegenständen (Perlen, Platten, Armbän­dersteinen &c.) der Fall. Hier entrichtet der Arbeiter für Benützung der Wasserkraft und der zur Arbeit erforderlichen Gegenstände je nach dem Platze, den er einnimmt, per Woche 40 bis 50 kr.

Die Schleifereien sind selbstverständlich an Flüssen oder Bächen gelegen; die Ar­beiter hingegen wohnen grösstentheils bei ihren Angehörigen. Diese Wohnungen sind meist kleine hölzerne Häuser ohne allen Comfort, und viele Arbeiterinnen, namentlich falls sie eine grosse Familie haben, sind zahlreichen Entbehrungen ausgesetzt; man kann Hunderte von Arbeiterinnen zählen, welche nicht einmal Betten haben und auf Stroh­säcken schlafen. Die Nahrung besteht grösstentheils aus Kaffee und Erdäpfeln; ein zu grosser Theil des Lohnes wird leider auf Kleidung und Putz ausgegeben.

Es wird dieser Hang schon durch die Art und Weise der dortigen Kindererziehung genährt. Es ist eine Ausnahme, dass die Eltern den Lohn der Kinder empfangen und die­selben dafür verköstigen und kleiden. Tn den meisten Familien besteht der Gebrauch, dass die Kinder, ob klein oder gross, 1 bis 2 fl. per Woche zu Hause als Kostgeld zahlen und das Uebrige für sich behalten, sich dafür zu kleiden oder es sonst zu verwenden. Begreiflicher Weise sind solche Verhältnisse der Erziehung der Kinder den Grund­sätzen der Moral und des Rechtes nicht günstig, und dem Mangel einer guten Bildung in der Kindheit entspricht auch das Verhalten der Erwachsenen, das vielfach zu tadeln ist-

Der Gesundheitszustand dieser Arbeiterbevölkerung ist kein erfreulicher. Wie erwähnt, bilden sich bei den Glasschleifern häufig Lungenkrankheiten, die theilweise auch ererbt