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sehen und ihre Gestalt. Sie eilen mit einer Schnelligkeit dahin, daß es Thorheit wäre, vor ihnen selbst mit dem flüchtigsten Rosse fliehen zu wollen, die Sonne giebt ihnen den Glanz von Feuersäulen, der um sie und in ihnen herumwirbclnde Orkan trennt sie in mehrere Stücken, vereinigt diese wieder, schwächt und verstärkt sie. Und wenn sie dann auch plötzlich zu einem Sandhügcl zusammensinken und dem Reisenden dadurch unschädlich werden, er darf sich noch nicht leichten Hoffnungen hingeben, denn gewöhnlich folgt den Sandsäulen der Samuhm nach.
Schon mehrere Tage vorher ahnt und weissagt der Wüstcn- sohn diesen furchtbaren Wind, dem er geradezu tödtliche Wirkungen zuschreibt. Auch der im Lande einheimisch gewordene Fremde lernt das Phänomen im Voraus bestimmen. Die Temperatur der Luft wird im höchsten Grade lästig: sie ist schwül und abspannend, wie vor einem Gewitter — ein deutliches Zeichen von der elektrischen Natur des Windes. Der Horizont ist mit einem leichten, röthlich oder blau erscheinenden Dufte wie überhaucht, — es ist der in der Atmosphäre kreisende Wüstensand; aber noch bemerkt man keinen Hauch des Windes. Die Thiere jedoch fühlen seine Nähe wohl. Sie werden unruhig und ängstlich, wollen nicht mehr in gewohnter Weise gehen, drängen sich aus dem Zuge heraus und geben noch andere, unverkennbare Beweise ihres Ahnungsvermögens. Dabei ermatten sie in kurzer Zeit mehr als sonst durch tagclange Märsche, stürzen zuweilen mit ihren Ladungen und können nur mit Mühe oder gar nicht wieder zum Aufstehen gebracht werden.
In der dem Sturme vorausgehenden Nacht nimmt die Schwüle unverhältnißmäßig zu. Der Schweiß dringt aus allen Poren hervor; nur die strengste, geistige Ucberwachung vermag dem Körper die ihm nöthige Spannkraft zu erhalten. Die Karawane setzt ihre Reise mit ängstlicher Eile fort, so lange es gehen will, so lange nicht Mensch und Thier vor allzu großer Ermüdung zusammenbrechen, so lange noch, dem Führer zum Merkmale, ein Sternlcin am Himmel flimmert. Aber auch das letzte verschwindet, ein dicker, trockener, undurchsichtiger Nebel deckt die Ebene.
Die Nacht vergeht, die Sonne steigt im Osten auf, der Wan-