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man eilt dem Strom, dein nächsten Brunnen zu — nicht alle erreichen ihn. Ein Kamel bleibt hinter dem übrigen zurück, es stürzt, sein Reiter steht verlassen mitten in der Wüste. Er zerrauft sich seinen Bart, er verflucht sein Schicksal, für ihn giebt es keine Hülfe mehr. Sein Wasser ist aufgezehrt, der Tod des Berschmach- tens steht ihm bevor.
Und jetzt breitet sich das „Meer des Teufels" vor ihm aus. Der Verschmachtende sieht die prächtigsten Bilder: vom Wasser um- flosscne Landhäuser, Palmcnwälder an Scegcstaden, Flüsse mit bewimpelten und beflaggten Schiffen; er sieht Alles, was mit Wasser zusammenhängt. Die Phantasie tröstet so gern mit freundlichen Trugbildern den erkrankten Geist und wenn unter solchen Umständen die Fata-Morgana ihren Lustsee über die Ebene breitet, dann wird es der Geschäftigen leicht, zu dem scheinbar wirklich Vorhandenen noch Bäume, Häuser, Menschen, dem Verendenden befreundete Gestalten hinzuzudenken. Dann wird Freiligrath's Dichtung Wahrheit in jedem ihrer Worte:
„Sie aber sieht sich wundernd um. — „Ha! was ist Das? Du schläfst Gemahl?
„Der Himmel, der von Erze schien, sieh da, er kleidet sich in Stahl!
„Wo blieb der Wüste lodernd Gelb? Wohin ich schaue, Licht!
„Es ist ein Schimmern, wie des Meers, das sich an Algiers Küsten bricht!"
„Es blitzt und brandet wie ein Strom, es lockt herüber feucht und kühl
„Ein riesiger Spiegel funkelt es; — wach auf, es ist vielleicht der Nil!
„Doch nein, wir zogen südwärts ja; so ist es wohl der Senegal?
„Wie, oder wär' es gar das Meer mit seinem Wasser sprüh'nden Schall?"
„Gleichviel, 's ist Wasser ja! Wach auf! Am Boden schon liegt mein Gewand.
„Wach' auf, o Herr, und lass' uns flieh'», und löschen uns'rer Leiber Brand!
„Ein frischer Trunk, ein stärkend Bad, und uns durchsiebet neue Kraft!
„Die Feste drüben, hochgethürmt, beschließen bald die Wanderschaft."
„Geliebter, meine Zunge lechzt! wach auf, schon naht die Dämmerung !"