Dokument 
Erster Theil
Entstehung
Seite
229
Einzelbild herunterladen

Poesie, erst da empfindet man ihre ganze Kraft. Wer unsrer Dichter Gesänge ganz verstehen will, muß sie in der tiefsten Ein­samkeit, muß sie da lesen, wo er sie Niemanden anders, nur sei­nem eignen Selbst mittheilen kann. Dann wird sich ihre Wirkung und ihr Werth immer mehr steigern. Wir hängen viel zu sehr m dem von Kindheit auf Gewohnten, als daß wir Alles, Alles mit einem Male von uns werfen könnten; und glauben wir uns einmal wirklich ganz befreit von aller Sehnsucht nach der Heimath, ein Wort der Muttersprache führt uns gewaltsam zurück in die Re­gionen der Kindheit. Uns Deutschen in Charthum wäre der schlech­teste Roman ein Genuß gewesen. Wir lasen bedruckte Papierstück- chen mit Interesse zu wiederholten Malen. Nicht der Werth dessen, was wir lasen, war es, was uns fesselte; es war nur die Erin­nerung air die Heimath. Sie läßt sich nicht verdrängen. Das Heimweh beschleicht oft den stärksten Geist und kehrt, wenn auch manchmal mit Glück bekämpft, doch immer und nur stärker wieder. So lange uns noch gewohnte Gestalten umgeben, hat es vielleicht keine Macht über uns, aber wenn wir allein stehen, dann malt eS uns das Bedürfniß der heimischen Sprache und Gewohnheit in immer süßer, reizender werdenden Bildern aus, daß es uns damit zuletzt doch besiegt.

Die Erinnerung an die Heimath ist das Band, welches die Europäer Charthum's vereinigt. So viele einander widerspre­chende, meist verderbte Charaktere würden sich nirgends im Vater- lande anziehen. Nur die Allmacht der heimischen Sprache, Sitte und Gewohnheit zwingt sie, in ziemlicher Eintracht zusammenzu­leben. Deshalb kehrt ihre Unterhaltung auch immer wieder zum Vaterlande oder zum Vaterländischen zurück. Und diese Stunden sind die einzigen, in denen uns der Franke des Sudahn gefällt.

Der Europäer Charthum's erscheint dem Neuangekommenen als ein höchst liebenswürdiger Mensch. Er macht ihm die glän­zendsten, freundlichsten Anerbietungen, ist gastfrei und zuvorkom­mend, aber bald bemerkt man, daß das, was ihn leitete, nur berechnender Egoismus war. Die fröhliche Abendgesellschaft ist bei Tage nicht wieder zu erkennen. Wenn wir einen tieferen Blick in