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Erster Theil
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Werk erfordern würde. Und gewiß, es gehören auch die verschie­denartigsten Lebensvcrhältnisse dazu, ehe ein Mensch den fortwähren­den Aufenthalt in Charthum für den angenehmsten erklären kann. »

Contariny's gute Kenntnisse verdienten ein besseres Loos, doch glaube ich nicht, daß er ein solches verlangt; das höchste Ziel sei­ner Wünsche überstieg nie den einstigen Besitz von zweihundert Tha­lern unseres Geldes.

In Hinsicht auf Kleidung, Essen und Trinken leben die Eu­ropäer ganz auf dem Fuße der Türken. Nur sind sie weit aus­schweifender als die Letzteren, welche auch in Charthum noch im­mer Zucht und Sitte vor Augen haben. Die Vielweiberei, welcher jene treulosen Bekennn des Christenthums ohne Ansnahme huldi­gen, hat bezüglich der Frauen auch das Absperrungssystem der Tür­ken bei ihnen in Aufnahme gebracht. Nikola's schöne Sklavinnen blieben dem Auge der übrigen Europäer ebenso unzugänglich, als die Schönheiten eines türkischen Harehms. Selbst die Tochter Ulivi's, die blasse, mondcnscheinige Genoveva, welche ich spä­ter in Kairo sah, durfte das Fraucngemach ihres Vaters nicht ver­lassen. Ueberhaupt haben die Europäer viele türkische Gebräuche und es läßt sich nicht verkennen darunter auch einige gute angenommen. Aber dafür haben sie so vielen Tugenden ihrer Lands­leute entsagt, daß sie sich nicht gebessert haben. Sie sind ihrem Vaterlande verloren, sie handeln nie für etwas Gemeinnütziges, nur für ihr eigenes Interesse. Von ihnen ist keine wissenschaftliche Beobachtung zu erwarten; ihr Streben geht dahin, sich ihren Un­terhalt zu sichern und sich das Leben so angenehm als möglich zu machen. Edle Genüsse kennen sie nicht mehr, deshalb berauschen sie sich in gemeinen. Wenn wir bei ihnen wirklich einmal Sinn für etwas Erhabenes finden, dann müssen wir ihn als den letzten Hauch des von ihrer Heimath mitgenommenen besseren Lebens an­sehen. Ihr Leben in Charthum ist das eines aus allen Banden der Geselligkeit, Freundschaft und Liebe herausgerissenen Menschen; ^

es ist grenzenlos elend! Wohl mögen sie das manchmal füh­len, wohl mögen sie sich manchmal zurücksehnen in die blühenden Lande der Heimath, sie sind unauflöslich an ihre jetzige Eri-