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im Monat Mai 1848. Mein Bedienter Mahammed bälgte mehrere große Geier ab, deren Fleisch in Haufen vor unsrer Hütte lag. Die Geier fressen nur faulendes Aas, sie selbst nehmen den Geruch desselben an und stinken noch nach Jahren in den Sammlungen, trotz des Kampfers und anderer stark riechender Konservations- mittel. Der Nubier hatte sich, um den Gestank der Vogel ertragen zu können, Zwiebeln in die Nase gesteckt. Da schlich hinkend eine menschliche Gestalt zu ihm und bat ihn mit arabischen Worten: „cka asüui, üo rrwümst lillalck, rvu rassulilu JInüsiu- msck, stück üu8u sl lasüem*)!" Ich trat verwundert aus meiner Nebuka hervor. Vor mir stand ein Mensch — nein, es war kein Mensch mehr! — vor mir stand ein menschliches Knochengerippe, mit geistgetödtetem Auge, die Füße in eine mehr als zehn Pfund schwere Kette gezwängt, mit acht bis zehn 4 — 8 Zoll langen, 1 — 2 Zoll breiten, eiternden Wunden auf dem Rücken, zitternd vor Schwäche am ganzen Körper und gestützt auf einen Stab, um das wankende, kraftlose Gerippe aufrecht zu erhalten. „Schon der aufrechte Gang des Menschen zeigt das Streben seines Geistes zum Hohen, Himmlischen — zu Gott an," lautet die gewöhnliche Erklärung, warum der Mensch aufrecht geht. Fand sie auch hier ihre Anwendung? Wäre dieses Thier, das vor uns stand, wohl fähig gewesen, noch aufrecht, zum Himmel blickend, zu gehen, wenn es sich nicht auf einen Stab gestützt hätte? Nein. Es hätte kaum Kraft genug gehabt, auf allen Vieren herumzukriechen! Aber trotzdem trug eS noch die schwere Kette, trotzdem wurde cS noch zur Arbeit gepeitscht.
„Unglücklicher, was willst du mit dem Fleische?" fragte ich die Jammergestalt.
„O Herr, ich will es essen, ich bin so kraftlos und habe seit Monaten kein Fleisch genossen, ich will mich daran kräftigen."
Ich habe ihm keine Antwort gegeben, ich fand keine Worte. Stumm willfahrte ich seiner Bitte. Hätte er mich gebeten, ihm
*) Mein Bruder, bei der Gnade und Barmherzigkeit Gottes und seines Gesandten Mahammed, gib mir dieses Fleisch.