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Die Seidenzeug-Industrie.

(Neuere Zeit.)

Wir haben uns in dem eben beendigten Theile mit der Schilderung der Vorkommnisse bei der Seidenindustrie, vornehmlich aber der Seiden- production von Südtirol, dem Küstenlande, von Görz und Umgegend, Triest, Istrien und Dalmatien beschäftigt; wir sind dabei häufig, um den Entwicklungsgang nicht zu unterbrechen, bis in die neueste Zeit vorgerückt; es ist nun unsere Aufgabe, die Entwicklung der Seiden­industrie in ihrem weiteren Umfange zu verfolgen, und sehen wir uns deshalb veranlasst, wieder auf eine frühere Epoche, auf die ersten Decennien des gegenwärtigen Jahrhunderts zurückzugreifen.

In dieser Epoche erfreuten sich die Seidenzeug- und Seiden­bandfabrikanten, sowie die Erzeuger von Posamentirwaaren in Wien, woselbst sich diese Industriezweige hauptsächlich concentrirt hatten, einer glücklichen Zeit; hat man doch damals einen grossen Theil des jetzigen Bezirkes Neubau, die ehemalige Vorstadt Schottenfeld, den Brillantengrund genannt. Leider war diese schöne Epoche nicht von langer Dauer, da sie nur kurz über die Mitte des XIX. Jahr­hunderts währte.

Mit erforderlichen technischen Kenntnissen und hinreichender Arbeitskraft ausgerüstet, war es manchem schlichten Manne möglich, auch nur mit bescheidenen Mitteln, bei einiger Anstrengung und Fleiss, sich emporzuarbeiten.

Es gab Fabrikanten, die nur nothdürftig lesen und schreiben konnten oder selbst dieses zu leisten nicht im Stande waren.

Das kostbare Material die Seide konnte ein Fabrikant leicht auf 67 Monate Zeit gegen Accept creditirt bekommen, und da die erzeugten Stoffe, wenn sie halbwegs der immer lebhaften Nach­frage entsprachen, sofort Käufer fanden, so war ein solcher Producent ohne Schwierigkeit in der Lage, seinen Zahlungsverbindlichkeiten rechtzeitig nachzukommen und bei sonstiger Intelligenz sein Geschäft in solider und nutzbringender Weise auszudehnen.

Es gab zu jener glücklichen Zeit nicht Wenige, die es, wie man zu sagen pflegt, von der Pike auf zur Wohlhabenheit gebracht haben.

Um nur ein paar Beispiele der vielen Emporkömmlinge anzu­führen, sei hier erwähnt, dass in den Dreissigerjahren der Seiden­zeugfabrikant Namens Joh. Fassbender, welcher als Arbeiter in der bedeutenden Piquefabrik J. W i n t e r beschäftigt gewesen, sich