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bieten keine besondere Aussicht. Deshalb wenden sich so viele Töchter die eine gewisse Bildung haben, lieber den Berufen im Handel und Gewerbe zu.

Bei den Töchtern der unteren Stände ist das Selbstbewusstsein ungemein gesteigert. Daher die vielen Klagen über die ungenügenden Leistungen der Dienstboten und über den Mangel an Dienstpersonal. Die Mädchen wenden sich lieber der Fabrikarbeit zu, wo sie eine grössere Freiheit gemessen. Die Töchter des Volkes im weitesten Sinne des Wortes, die in den meisten Fällen zum Unterhalt der Familie mit beitragen müssen, gehen, sobald sie aus der Schule entlassen sind, in die Fabriken und arbeiten dort, nicht nur bis sie sich verheiraten, sondern auch noch als Frauen. Können sie sich nicht verheiraten, so bleiben sie eben Fabrikarbeiterinnen bis zum Ende ihres Lebens, und die Zahl dieser ist wahrlich nicht gering.

Die Frau ist natürlich nicht für alle Arbeiten geeignet, z. B. nicht für den Verkehr mit niedrigem männlichen Dienstpersonal (Matrosen, Fuhrknechte u. s. w.), wohl aber für Arbeiten, die das Ab wägen des Geschäftsrisikos, die Disposition betreffen, obschon ihr diese Thätig- keit bisher wenig eigen war. Die Frauen, die bisher als Geschäfts­inhaberinnen auf traten, im Bankgeschäft, Versicherungswesen, Rhedereien u. s. w. waren meist Erbinnen (Töchter oder Witwen), welche das Geschäft mit Hilfe von Geschäftsleitern betreiben, bis sie es vorteilhaft ver- äussern oder an die herangewachsenen Kinder übergeben können. Frauen, welche selbst bedeutende Geschäfte begründet hätten, sind selten.

Im Staats- und Gemeinde-Verkehrsdienst wurde das weibliche Geschlecht bisher wenig verwendet. Der Staat ist vom Manne ge­gründet, mit Waffengewalt erhalten. Er wird in der Hand des Mannes bleiben, obschon wohl viele Frauen hinter den Kulissen Politik treiben und viele Frauen auf dem Throne gesessen. Aber man darf doch wohl erwarten, dass die Frauen auch in den Verwaltungs dienst eindringen werden.

Unter den jetzigen Verhältnissen müssen viele Mädchen den Lehr­beruf ergreifen, weil er bis jetzt einer der wenigen ist, die staatlich anerkannt sind. Er gibt aber keine Gewährleistungen für die Zukunft. Nur wenige haben bei dem Andrang zu diesem Berufe Aussichten, weil das Angebot viel stärker ist als der Verbrauch und weil viele den Beruf ergreifen, ohne die geringste Veranlagung, nur um im Falle der Not gedeckt zu sein. Und so können denn bei vielen der jungen Mädchen Enttäuschungen nicht ausbleiben. Mit Hoffen und Harren werden sie immer unbrauchbarer für andere Anforderungen. Viele werden in die Welt gestossen, füllen die Homes der Hauptstädte und warten von einer Stunde zur anderen auf das erlösende Wort einer Vereinbarung. Unentschieden ist ihr Schicksal, unentschieden sind ihre Lebensbedingungen, unentschieden ihr Wert für die menschliche Gesellschaft. Diese Kräfte könnten in Handel und Gewerbe nutz-