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II. Die Frauenberufe

Alle Eltern hoffen und ersehnen für ihre Töchter eine glückliche Ehe, und das bleibt auch nach wie vor das Erstrebenswerteste. I)a aber 39 Prozent der deutschen erwachsenen Frauen unverheiratet bleiben und 4 Prozent verwitwet sind, so muss bei vielen die Mög­lichkeit der Selbständigkeit ins Auge gefasst werden. Deshalb lassen viele Eltern ihren Töchtern eine fachliche Ausbildung, die sie zu irgend einem Berufe geschickt macht, für den sie Neigung und Be­fähigung haben, angedeihen. Auch für diejenigen Mädchen, die später heiraten, ist die regelrecht gelernte Arbeit eine vorzügliche Schule, deren Früchte sie durchs ganze Leben hindurchbegleiten werden, die sie mit dem Ernst des Lebens bekannt und vertraut macht. Die Frau kann durch Krankheit oder Tod des Mannes, durch missliche Ver­hältnisse u. s. w. immer noch in die Lage kommen, die ganze Familie ernähren zu müssen; in solchen Fällen erweist sich die Fähigkeit und Ausbildung zu einem Berufe von unschätzbarem Werte.

Für das unverheiratet bleibende Mädchen aber ist ein Beruf eine Notwendigkeit, falls es nicht über ein genügendes Vermögen verfügt.

Die Ansichten über die Frage, welche Thätigkeit den Männern, welche den Frauen zukomme, gehen weit auseinander. Und da muss man gleich konstatiren, dass es ein grosser Irrtum ist, zu behaupten, alle Arbeiten, die nicht die Kinderwartung und Küchenarbeiten be­treffen, gehören nicht der Frau. Die Abgrenzung der Thätigkeiten ist jetzt eine andere geworden, wie vielleicht bei Jägervölkern, wo der Mann der Jagd oblag und höchstens die Waffen und Geräte ver­fertigte, während das Weib das Haus besorgte, Kleidung und Schmuck­sachen erzeugte. Heute greifen die Männer in früher spezifisch weib­liche Arbeiten; sie stehen am Dampfwebstuhl und Niemand fällt es ein, dies unrichtig zu finden. Umgekehrt sind die Frauen in vielen Gebieten thätig, welche die Männer als ihre ausschliessliche Domäne betrachteten, namentlich gilt dies für die Industrie. Dieselbe ist ja nicht spezifisch männlich und je mehr sich hier Zweige bilden, die nur Geduld und Handfertigkeit erfordern, destomehr wird die Frau eindringen. Dass auch die Familienmutter zur Arbeit muss, ist eine beklagenswerte Thatsache.

Wir sehen jetzt die Frau thätig im Kleingewerbe, wo der Mann in der Werkstätte, die Frau im Laden beschäftigt ist. Wo könnte der Mann ein besseres Geschäftspersonal bekommen, das so sehr am Gedeihen des Geschäftes ein Interesse hätte?

In fremdem Dienst ist die Frau seit langem als Verkäuferin thätig. Mit der Entwiklung des Verkehrs, mit der Ausbreitung des Elementarunterrichtes erscheint sie als Buchhalterin, Korrespondentin, als Hilfsarbeiterin in Hotels und Bädern, bei Notaren, Rechtsanwälten u. s. w.

Die Berufe der Erzieherinnen und Lehrerinnen sind überfüllt und