Seide gleich an Ort und Stelle befriedigen zu können; deshalb soll aber noch keineswegs die Behauptung gleichzeitigen Beginnens der Seidenzeugweberei ausgesprochen sein, da schon früher in Wien ge­färbte Stepp- und Nähseide sowie auch hier gefärbte Seide für die Strumpfwirkerei und Posanienterie in Verwendung gekommen ist.

In den ersten Jahren der Regierung Kaiser Leopold I.lag die Finanzwirthschaft im Argen,und doch brauchte inan Geld und wieder Geld für Hof und Heer, für den zahlreichen Beamtenstand und zur Tilgung der grossen Schuldenlast. Noch 1670 hatte man bei 782.000 11. alter Schulden. Eine ausgiebige Vermehrung der Steuern war bei der traurigen Lage des Gewerbes und der noch traurigeren des Bauernstandes schlechterdings unmöglich. Welchen AVeg man einschlagen müsse, um Baargeld im Lande zu haben, zeigte Holland und vor allem jenes Land, wohin der grösste Theil erbländischen Goldes floss, Frankreich. Hier hatten seit Franz I., namentlich aber seit Ludwig XIV. Handel und Gewerbe eine ausserordentliche Förderung von Seite des Staates erfahren und demgemäss einen grossartigen Auf­schwung genommen. Aber um das Beispiel Ludwig XIV. nach­zuahmen, fehlte ein Genie wie Colbert. An der Spitze der Hofkammer stand seit 1657 Graf Ludwig Georg Sinzendorf, ein Mann, dessen 22jährige Amtszeit zu den traurigsten Epochen österreichischer Finanz­geschichte gehört. Er war gerne bereit, für die Hebung des Handels und Einführung neuer Manufacturen zu wirken, wenn er nur an dem verhofften Gewinn betheiligt war.

Hiezu schienen ihm die Umstände günstig, da der Kaiser an­befohlen, auf alle mögliche Weise für Hebung desCommerz Bedacht zu nehmen, wozu wohl vor allem der richtige Mann er­forderlich sei, welcher, technische Bildung mit kaufmännischem Sinn verbindend, Beziehungen zu den bedeutendsten Industrie- und Handels­ländern habe. Es glückte, Dr. Joh. Joachim Becher, churbayerischen Rath, 2 ) zu gewinnen, von dem es hiess, dass erdas Muster eines

x ) Dr. O. Karsehulin: Vergl.Zur Geschichte der österr. Seidenindustrie I., im XVIII. Jahresberichte des VereinesHandels-Akademie, 1890.

2 ) In München war er seit Frühjahr 1664. und zwar pro forma als Leibarzt, Er war wirklich medieinae Doctor, übte aber kaum seine Praxis aus. In Wien wollte er in dem ,Kaufhaus eine Centralniederlage für den gesammten Import, im ,Werkhaus 1 ein wirksames Mittel gegen die Landplage jener Zeiten, die Ver­armung und Bettelei, schaffen. Eine Wechselbank sollte die Unsicherheit des Münzwesens heben helfet), eine Landbank die Mittel zu dieser Neuerung schaffen; auch die bayerische Seidencompagnie ist indirect Beehers Initiative zu danken.