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gesprochen worden, in erster Linie Fachschulen gegründet würden,, hierauf die Einführung der Gewerbefreiheit folge, und erst nach Mass- gabe ihrer Entwicklung an eine Zollreduction geschritten werde, hatte man leider von massgebender Stelle den verkehrten Weg eingeschlagen, indem man sich beeilte, zuerst die Eingangszölle herabzusetzen, dann die Gewerbefreiheit einzuführen und zu allerletzt Fachschulen ins- Leben zu rufen.

Die empfindlichen Wirkungen, welche die immer gewaltigere Concurrenz auf den Absatz der einheimischen Seidenzeugfabrikanten ausübten, veranlassten dieselben zu gemeinsamen Schritten ihrer Klagekundgebung sogar an Se. Majestät den Kaiser, und wurde in Folge dessen eine grosse Enquete unter Zuziehung von Textilfabri­kanten und anderer Branchen und Kaufleute, insbesondere auch des Präsidenten der Handels- und Gewerbekammer, unter dem Vor­sitze des gewesenen Handels- und Finanzministers Sr. Exeellenz des Herrn Andreas Freiherrn von llaumgartner ? A ) angeordnet, an welcher auch höhere Staatsbeamte theilnahmen.

Bei den Verhandlungen, die sich auf verschiedene Industrie­zweige erstreckten, wurden von Seite der Seidenzeugfabrikanten be­sonders die misslichen Verhältnisse, unter welchen sie gegenüber den weitaus kräftiger und besser entwickelten Fabrikanten des Auslandes arbeiten, geltend gemacht, mit dem Bemerken,dass gegenwärtig die Verkaufsgewölbe in Wien so stark mit Ausländenvaaren angefüllt seien, dass es für die heimischen Erzeugnisse keinen Platz mehr gebe.

Bei nächster Erneuerung der Zollverträge wurde den geschilderten Umständen wohl einige Berücksichtigung zutheil, mehr aber half das steigende Agio.

Die erfolgte bedeutende Schmälerung des hiesigen Fabrikanten­standes gibt einen unwiderlegbaren Beweis der grossen Schädigung durch die fremdländische Concurrenz in Folge der wiederholten starken Zollreductionen.

Greift man auf die Zeit unmittelbar vor 1848 zurück, so findet man, dass dazumal das Gremialverzeichniss der Seidenwaarenerzeuger bei 500 Namen enthält. * 2 )Viele Gremialmitglieder übten gar kein

*) Im Jahre 1855 hatte Baumgartner seine Entlassung vom k. k. Mini­sterium genommen. Obige Enquete fand im Jahre 1859 statt.

2 ) Bericht der Handels- und Gewerbekammer für Oesterreich unter der Enns. 1850.