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vor Arbeitslosigkeit bewahren und ein ausreichendes Einkommen erwerben können, eines Zwanges für die Prinzipale, die in dem Lehrling mehr und mehr nur noch eine Arbeitskraft sehen, nicht aber den Lernenden, den sie praktisch und theoretisch ausbilden sollen.

In Erkenntnis dieser Thatsache haben sich in Frankfurt a. M. kauf­männische Vereine an die Behörden gewendet und um Einführung des Fortbildungsschulzwanges durch Ortsstatut gebeten. Der Zustrom weib­licher Kräfte in den Handelsstand ist indessen ein so grosser, dass eine Massregel, die sich zur Zeit nur auf männliche Gehilfen beziehen kann, ohne eingreifenden Nutzen bleiben müsste; nach der Berufszählung von 1895 beträgt die Zahl der Handlungsgehilfinnen 94941 und macht demgemäss etwa den sechsten Teil aller im Handelsgewerbe beschäftigten Personen aus. Fortbildungsschulzwang für Knaben allein würde zweifellos zu einer vermehrten Einstellung weiblicher Lehrlinge führen, über deren Arbeitszeit der Prinzipal unbeschränkt verfügen kann. Ferner würde eine auf die männliche Jugend beschränkte Fortbildung den bestehenden Unterschied in der Ausbildung der Gehilfen und Gehilfinnen vergrössern, ein Unterschied, der bereits verhängnisvolle Folgen gebracht hat. Das Sinken der Löhne im Handelsstand ist zum guten Teil auf die Kon­kurrenz (durch zu kurze Lehrzeit ungenügend vorgebildeter, anspruchs­loser) weiblicher Kräfte zurückzuführen; der ,,Deutsche Verband kauf­männischer Vereine hat 1896 aus diesem Grunde die Notwendigkeit gleicher Ausbildung der männlichen und weiblichen Gehilfen betont.

Wir glauben aus Vorstehendem folgern zu dürfen, dass auch die weiblichen Angestellten, soweit sie sich nicht vor Eintritt in den Handelsberuf eine höhere Bildung erworben haben, durch die Fort­bildungsschule gehen sollten. Die segensreiche Wirkung der Weiter­bildung der weiblichen Jugend nach der Volksschule, wenn insbesondere die praktische und theoretische Haushaltungslehre, die Gesundheitslehre und Kinderpflege mit einbezogen würden (wie dies z. B. in Bayern durch Landesgesetzgebung der Fall ist) wird in weiten Kreisen Deutschlands erkannt.

Bis jetzt ist jedoch nach § 120 der Eeichsgewerbeordnung die Ein­führung des Fortbildungsschulzwanges durch Ortsstatut nur für männliche Arbeiter möglich.

Wir bitten demgemäss

dahin wirken zu wollen, dass die Einführung des Fortbildungs­schulzwanges auch für Mädchen ermöglicht werde.

Ausser der Vorbildung kommt noch ein anderer Punkt in Be­tracht. Da die Schäden im weiblichen Erwerbsleben nicht zum kleinen Teil durch das Überangebot in den grossen Städten hervorgerufen werden, kann man die Frauen vor dem Zuzug nach diesen nur warnen. In der Provinz herrscht stets Nachfrage nach tüchtigen weiblichen Kräften, die Arbeit ist dort nicht so schwer, dagegen sind die Bezahlung und die Behandlung meist besser als in den Gross­städten. In den kleineren Städten bietet sich auch für die gewerbliche Thätigkeit (Schneiderei, Wäsche, Putz u. s. w.) günstigere Gelegenheit zur Selbständigkeit. Frauen, welche eine Zeit lang in grösseren Städten thätig waren, finden dort leicht Kundinnen und lohnenden Verdienst, ohne dass es zur Etablirung grösserer Mittel bedürfte.