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Nehmen wir den Durchschnittsmassstab, so haben viele Mädchen, welche den Beruf einer kaufmännisch Angestellten erwählen, eine gute Schulbildung genossen, d. h. sie haben Lesen, Schreiben, Rechnen, Geschichte, Geographie, Litteratur, vielleicht auch Französisch und Englisch gelernt; sie haben, wie man zu sagen pflegt, sich eine all­gemeine Bildung angeeignet. Damit halten sie sich für befähigt, den Posten einer Verkäuferin auszufüllen, sie finden auch Anstellung und sie fühlen sich befriedigt, trotz des geringen Gehaltes; sie haben auch nicht die Berechtigung, höhere Ansprüche zu machen, weil sie eben die Kenntnisse nicht erworben haben, die man sehr häufig bei dem Verkäufer freilich auch vermisst. Doch wird dieser wenigstens durch seine Lehrlingsstelle etwas vorbereitet. Die Verkäuferin sollte aber theoretisch und praktisch ausgebildet sein. Sie sollte vor allem ihren Beruf nicht als Lückenbüsser auffassen, etwa als eine durch die Verhältnisse aufgedrungene Zwischenstation zwischen der Konfirmation und der späteren Heirat, sondern als eine ernste, fürs Leben an­zusehende Thätigkeit, in der aus einer Schülerin eine Gehilfin und aus der Gehilfin eine Meisterin wird. Die praktische Ausbildung ergibt sich meist schon durch ihr Geschlecht, sie hat mit den Artikeln, die ihr als Verkaufsbranche am nächsten liegen sollten, von klein auf zu thun gehabt, mit Gegenständen der Toilette, des Hausrats, der Wirtschaft.

Die Verkäuferin muss neben gründlicher Warenkenntnis, Sach­kenntnis, Bildung und Gewandtheit, die rein weiblichen Eigenschaften besitzen: sie muss gefällig, liebenswürdig, anspruchslos und be­scheiden sein.

Unter theoretischer Vorbildung ist vor allem die Warenkenntnis zu verstehen, d. h. die tüchtige Verkäuferin muss mit dem Wesen, der Erzeugnisart und dem Erzeugnisort der Waren, die sie zu ver­treiben hat, durchaus vertraut sein. Sie muss auch über die Ver­wendung und die Verwendungsmöglichkeit der verschiedenen Artikel informirt sein und darf sich hier bei keiner Kenntnislücke ertappen lassen.

Die Warenkunde lässt sich lehren, ebenso wie Sprachen; das übrige muss die Praxis dann ergänzen.

Kontoristinnen, Buchführerinnen u. s. w. dürften gar nicht ohne gründliche Vorbildung zum Handelsfach zugelassen werden, und doch wie viele Mädchen sind als solche thätig, welche in einerPresse sich ihre geringen Kenntnisse angeeignet haben und nun der Not gehorchend und weil sie billige Arbeitskräfte sind, Anstellung suchen und finden. Dies schädigt aber den ganzen Kaufmannstand, und daher ist es von weitgehendster Bedeutung, dass staatliche Handels­schulen für Männer wie Frauen eingerichtet werden und der Fort­bildungsschulzwang auch für weibliche Handlungsgehilfen eingeführt werde.