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Das Handels- und Fortbildungsschulwesen für das weibliche Geschlecht liegt bekanntlich zur Zeit in Deutschland, insbesondere in Preussen noch sehr im Argen. Von seiten des Staats ist dafür bis jetzt fast nichts geschehen. Die Mehrzahl der bestehenden Handelsschulen für Mädchen sind von Frauen- und sonstigen gemeinnützigen Vereinen gegründet worden. Einige Anstalten verdanken ihre Entstehung der Initiative kaufmännischer Vereine. Nur eine geringe Zahl Schulen werden von Kommunen unterhalten. Um so mehr blühen leider in vielen Städten Institute, die jeder Schreiblehrer oder verkrachte Buchhalter gründet, um in drei Monaten, ja in sechs Wochen auch die unfähigsten Mädchen zu „perfekten Buchhalterinnen“ heranzubilden.
So müssen wir nicht nur einen grossen Mangel an Handelsschulen für Mädchen beklagen, es herrscht auf diesem Gebiet infolge der Verschiedenartigkeit der Schulbildung trotz mancher anerkennungswerten Leistungen einzelner Vereine und Städte auch eine planlose Vielgestaltigkeit, die weder den in den Erwerb drängenden Mädchen selber noch dem Handelsstande dienlich sein kann. Eine gründliche Reform thut hier not. Wenn bisher der Staat, die Kommunen und die Handelskammern für diesen wichtigen Zweig des Unterrichtswesens ■wenig oder gar nichts gethan haben, so ist dies allerdings sehr wohl begreiflich. Das kaufmännische Bildungswesen ist überhaupt in Deutschland lange vernachlässigt worden. Erst in neuster Zeit hat sich die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer besseren fachlichen Ausbildung der angehenden jungen Kaufleute allgemein Bahn gebrochen. Naturgemäss ging man zuerst an den Ausbau des Unterrichtswesens für männliche Handlungsgehilfen und Lehrlinge. Hierin hat vor allem die deutsche Kaufmannschaft selbst Erstaunliches geleistet. Besonders die berufenen Vertretungen des Handelsstandes, die Handelskammern, haben sich die Förderung einer planmässigen Ausbildung des kaufmännischen Nachwuchses sehr angelegen sein lassen, indem sie überall Fortbildungsschulen und Handelsschulen neu ins Leben riefen oder bestehende Anstalten ausgestalteten. Nunmehr, da man in dieser Beziehung bereits festen Boden unter den Füssen fühlt, kann man als ■weiteres Ziel auch die Einrichtung von Handelsschulen für Mädchen ins Auge fassen. Die Gründung und Leitung dieser Anstalten darf nicht mehr ausschliesslich den privaten Vereinen überlassen bleiben, sondern Staat, Kommunen und Handelskammern müssen die Pflege auch dieses Zweiges des Unterrichtswesens in ihren Aufgabenbereich allerorts einbeziehen. Die massgebenden Kreise sind sich dieser Verpflichtung heute durchaus bewusst. Der deutsche Verband für das kaufmännische Unterrichtswesen, der den Mittelpunkt aller auf die Förderung des kaufmännischen Schulwesens abzielender Bestrebungen in Deutschland darstellt, hat auf einem seiner Kongresse in Hannover ausdrücklich die Wichtigkeit der Frage, auch den