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bildung auf einer höheren Mädchenschule auch eine gründliche, handels- wissenschaffliehe Ausbildung genossen haben. Bei hervorragenden Sprachkenntnissen würde sich das Korrespondenzfach empfehlen, bei rechnerischer Begabung dagegen das Tafelgeschäft, nämlich der un­mittelbare Verkehr mit dem Publikum. Hierdurch wird auch am besten jene Selbständigkeit erlernt, w T elche die Führung eines eigenen Geschäftes ermöglichen würde. In München ist die bereits erwähnte für das Bankfach bedeutendste Handelsschule, welche vom Direktor M. Keischle geleitet wird, den Frauen zugänglich. Die Schülerinnen dieser vortrefflichen Schule pflegen gern von Prinzipalen angestellt zu werden und arbeiten sich meist in die eigenartigen Geschäfte schnell ein.

Iu London steht mitten in der Stadt, ganz in der Nähe des Mansion House und der Bank, ein Haus, auf dessen Vorderseite folgende Inschrift zu lesen ist: Lady Cook & Co. Unter den Vor­kämpferinnen der Frauen in London steht Lady Cook obenan. Vor 30 Jahren schon hatte sie in New-York ein Bankhaus gegründet zu­sammen mit ihrer Schwester Viktoria Woodhull Martin, die nachher eine begabte Schriftstellerin und eine eifrige Mitarbeiterin desHuma­nitarian geworden ist. Sie erklärte kürzlich, dass sie in ihren Bureaus keine Frauen beschäftige, weil es zu schwierig sei, solche zu finden, die mit den Arbeiten eines Bankbeamten genau vertraut wären.Fände ich einmal eine Frau, die die Börsenkurse begriffe, so würde ich sie sofort engagiren, meinte sie. Aber bis jetzt haben in England nur wenige Frauen daran gedacht, sich über Börsenangelegenheiten zu in- formiren, obgleich, wie Lady Cook meint, nur eine Durchschnitts­intelligenz und ein wenig Arithmetik für diese Karriere erforderlich sei. Lady Cook hat übrigens eine Konkurrentin bekommen: Miss R. L. Leigh Spencer, die sichMining Broker 44 (Mäklerin für Berg­werk sgeschäfte) nennt. Sie besitzt in Britisch-Columbien bereits zwei Häuser, eins in Vancouver und das andere in Nanaimo.

9. Die Verkäuferin

Die Verkäuferin (auch Ladnerin, in der Schweiz Ladentochter genannt) ist längst bereits eine ebenso typische Erscheinung wie der Kommis. Die angeborene Liebenswürdigkeit und die sprichwörtlich gewordene Beredsamkeit der Frau machen sie für diesen Beruf be­sonders geeignet. Mit fremden Menschen freundlich und geduldig umzugehen, die Wünsche des kaufenden Publikums, das in der Mehr­zahl aus Frauen besteht, mit feinem Verständnis zu erraten, ohne Aufdringlichkeit zum kaufen anzureizen, all diese Gaben besitzt die Frau in höherem Masse als der Mann. Die Verkäuferin wird daher nicht bloss von den Frauen gern gesehen. Dass sie sich die er-