75

forderlichen Warenkenntnisse weniger schnell anzueignen vermag als der Mann, wird wohl niemand behaupten. Die körperlichen Kräfte und die Ausdauer der Frau reichen übrigens in allen Geschäftszweigen, in denen es sich nicht um besonders schwere Gegenstände (Stoffballen, Eisen u. s. w.) handelt, für den Beruf als Verkäuferin aus. Aller­dings soll die Arbeitszeit nicht übermässig lang sein.

Die Lehrzeit (y 2 bis 1 Jahr) ist meist zu kurz; deshalb lässt die Ausbildung auch vielfach zu wünschen übrig. In den kleineren und mittleren Städten sind die Verkäuferinnen meist vielseitiger als in den Grossstädten. Am meisten wird der Stand durch die Riesen­bazare herabgezogen. ,,Nicht einmal zu verkaufen hat hier jede Ver­käuferin, sondern da giebt es noch Reserveverkäuferinnen, die nur die Ladentische abzuräumen haben und bloss im äussersten Not­fälle, wenn gar niemand sonst zur Verfügung ist, die Kundschaft nach ihren Wünschen fragen dürfen. Die Komplettirung des Lagers und Bestellung der fehlenden Waren ist Sache des Rayonchefs. Selbst die Kenntnis der einschlägigen Branche ist nicht einmal notwendig, da naturgemäss nur die gangbarsten Artikel in beschränkter Auswahl von solchen Bazaren geführt werden; und obgleich durch den grossen Andrang des Publikums die Verkäuferin unaufhörlich in Atem gehalten, sich körperlich oft wirklich bis zur äusserten Erschöpfung anstrengen muss, sind die an sie gestellten geistigen Ansprüche sehr gering. Das Publikum in diesen Geschäften kauft infolge der billigen Preise fast unbesehen, des Zuredens oder der Beeinflussung durch die Verkäuferin bedarf es selten. Die geistige Trägheit, welche hier­durch grossgezogen wird, hat es zum Teil verschuldet, dass Ver­käuferinnen aus Bazaren in andern Geschäften so schwer Stellung finden. *)

Wichtig ist folgendes Gutachten der Ältesten der Kaufmannschaft, das der Korrespondenz derselben entnommen ist:ln unserem Gutachten vom 2 . Februar 1899 haben wir ausgeführt, dass Verkäuferinnen in Kon­fektionsgeschäften, denen zugleich obliegt, das Lager in Ordnung zu halten, auch verpflichtet sind, eventl. mit Hilfe eines Lehrlings, die auf Lager befindlichen Sachen abzubürsten, und zwar geschehe dies in der Regel in den Vormittags- und Abendstunden, in denen das Verkaufsgeschäft zu ruhen pflege. Hierdurch haben wir anerkannt, dass die Hauptaufgabe einer Verkäuferin die Thätigkeit beim Verkaufe ist, und dass die Reinigungsarbeiten vornehmlich in derZeit zu geschehen haben, in welcher sie durch den Verkauf nicht in Anspruch genommen ist. Daher kann einer Verkäuferin nicht zugemutet werden, am Sonntag vor Weihnachten, der zu den flottesten Ver­kaufslagen im Jahr zu zählen ist, und namentlich in den Nachmittags­stunden, welche zu den lebhaftesten an diesem Tage gehören, sich nicht mit dem Verkaufe, sondern mit der Reinigung des Lagers zu be­schäftigen. 1

Bei den Verkäuferinnen kommt es hauptsächlich auf die prak-

*) 111. Konvers.-Lexikon der Frau. I. S. 601.