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mit ärztlicher Gutheissung, 2. die Ausschliessung aus einer Reihe direkt gesundheitsschädigender Betriebe, 3. die gesetzliche Festlegung einer aus­giebigen Mittagspause und eines früheren Feierabends.

Die Mitteilung, dass im Reichsamt des Innern Vorarbeiten zum Erlass von Schutzbestimmungen für gewerblich thätige, verheiratete Frauen stattfinden, hat in einzelnen Kreisen der Arbeitgeber Beunruhigung her­vorgerufen. Der Verband der Textilindustriellen von Chemnitz und Um­gebung hat ihr in einer an den Reichskanzler gerichteten Eingabe leb­haften Ausdruck dahin gegeben, dass durch die geplanten Massregeln ihrer Industrie und ihrem Arbeiterstande schwere, nicht gut zu machende Schädigungen zugefügt werden könnten. Sie weisen auf die Thatsache hin, dass in den Arbeiterkreisen die Ehen vielfach sehr früh geschlossen werden in der Voraussetzung, dass beide Teile verdienen müssen, um überhaupt in der Ehe miteinander leben zu können. Die meisten Fabrik­arbeiterinnen heiraten, ehe sie die volle Ausbildung in ihrem Fache er­reicht haben. Sie bringen als Frauen eine grössere Willigkeit und vielfach mehr Lust und Liebe zur Arbeit mit, werden aufmerksamer, gewissen­hafter, sorgfältiger und nicht soviel durch Vergnügungssucht von der Arbeit abgelenkt, wie die Mädchen. Sie sind auch ausdauernder auf einem Platz, da sie sichere und beständige Arbeit suchen, während die ledige Arbeiterin häufiger wechselt. Der Verband bittet den Reichs­kanzler, jedenfalls vor Ausarbeitung eines derartigen Gesetzentwurfs eine grössere Anzahl von Arbeitgebern darüber hören zu wollen.

Ausser den gesetzlichen Vorschriften sind andere Massregeln bestimmt, die durch die Frauenarbeit bewirkte Beeinträchtigung des Familienlebens zu mildern. Der Ergänzung der mütterlichen Für­sorge dienen Krippen, Kinderbewahranstalten, Kinderhorte u. s. w. Die allgemeine, besonders aber die unter der weiblichen Lohnarbeit leidende häusliche Ausbildung wird durch Fortbildungs-, Haushaltungs-, Koch-, Näh-, Flick-, Strick- und sonstige Handarbeitsschulen bezw. Kurse in deutschen wie ausserdeutschen Staaten, namentlich in Belgien, Frankreich u. s. w. neuerdings sehr gefördert.

Frau Hofrätin Katharine Migerka begründete vor wenigen Jahren in Wien die Haushai tungs-Abendkurse für Arbeiterinnen, die anfangs eine starke Anfeindung von seiten der Sozialdemokraten erfuhren, durch den nicht abzuleugnenden praktischen Erfolg später stillschweigend Aner­kennung fanden. Bis jetzt wurden 38 Kurse abgehalten, an denen 450 Arbeiterinnen teilnahmen. Der Unterricht umfasst: Wirtschaftsführung, Kochen, Schnittzeichnen, Nähen und Stricken und die Kurse finden abends von 79 1 /, Uhr in einem zu diesem Zweck gemieteten Lokale, IV. B. Müllergasse statt. Die Schülerinnen müssen auch das Lokal aufräumen, das Geschirr reinigen und nach je 4 Wochen die gesamte Wäsche waschen. Angestellt sind 2 Lehrerinnen mit einem Gehalt von 624 fl., Avährend Frau Hofrätin Migerka den theoretischen Unterricht unentgeltlich leitet. Eine Bibliothek und Ausflüge sorgen für die Unterhaltung und Anregung der Schülerinnen.

Invaliditäts- und altersversicherungspflichtig sind alle Angestellten, die ein jährliches Gehalt von weniger als 2000 M. beziehen. Ebenso unterliegen sie dem Krankenkassen zwange.

Während bisher 4 Lohnklassen vorhanden waren, sieht das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene neue Invaliden-Versicherungsgesetz 5 Lohnklassen vor.