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tont Sombart mit Recht dieauf die Spitze getriebene Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, die bis zur Grenze des Menschenmög­lichen vorgeschrittene Ärmlichkeit und Erbärmlichkeit in der Lage dieser Arbeiterschaft.

Aber auch ohne Zwischenmeistersystem ist die Lage dieser Ar­beiterschaft schlimm genug, und zwar wesentlich darum so schlimm, weil die Fabriken, besonders seit Einführung der Arbeiterschutz* und Versicherungsgesetzgebung, an Stelle der Beschäftigung in eigenen Fabriken die Arbeiter mehr und mehr zu Hause beschäftigen, in der Absicht, sich von den Beiträgen zur Invaliditäts- und Altersversicherung, vielleicht auch von den Beiträgen zur Unfallversicherung zu befreien. Man rettet sich also, um sich dem Zwange des Arbeiterschutzes und der Versicherung zu entziehen, hinüber in den idyllischen Kleinbetrieb und findet dort, sagt Oda Olberg,*)die herrliche unbeschränkte Freiheit, den Arbeiter systematisch auszubeuten zur grösseren Ehre des Gottes Kapital! Und diese Hausindustrie betrügt ihn selbst um den bescheidensten Anklang eigener Häuslichheit. Sie macht sein Haus zur Fabrik und bannt seine ganze Familie in beständigen Frohndienst. Bei den erbärmlichsten Löhnen, heisst es in dem citirten Buche, ,,hat der Arbeiter Arbeitsraum, Heizung, Licht und Maschinen selbst zu stellen. Für ihn giebt es keine geregelte Arbeitszeit, keine Räume, die den Anforderungen der Hygiene genügen, die Errungenschaften der Technik kommen ihm nicht zugute, das Gespenst der Arbeits­losigkeit tritt öfter an ihn heran, als an den Fabrikarbeiter, in einigen Industrien mit erschreckender Regelmässigkeit, und doch giebt es kein Entrinnen, da das in seinem Betriebe angelegte Geld ihn fesselt. Er heisst Heimarbeiter, weil er kein Heim mehr hat. Das Bild, das in den meisten Fällen diese Heimwerkstätten bieten, die zugleich zum Schlafen und Kochen dienen, die eng und von Luft und Licht abge­schlossen sind, in denen die ganze Familie eng zusammengepfercht haust, spottet jeder Beschreibung, und die ganze Arbeit darin, die 14 und mehr Stunden in emsigster Hast dauert, ist nichts als ein fortgesetzter Kampf gegen den Hungertod, ihr Ertrag reicht nicht hin, um der Familie ein menschenwürdiges Leben, den Kindern auch nur einen Schein von Erziehung zu gewähren. So wird uns eine Frau vor­geführt, die für mehrere Kinder zu sorgen hat und die es trotz vierzehnstündiger emsigster Arbeit auf nicht mehr als 1 M. 30 Pfg. täglich zu bringen vermag.

AVir können das Kapitel über die Löhne nicht eingehend ver­folgen. Es sei nur erwähnt, dass beispielsweise in Berlin Näher und Näherinnen von Knabenanzügen (3 bis 3 M. 50 Pfg. für das Dutzend) und von Männerhosen (1 bis 1 M. 50 Pfg. für das Dutzend) bei sehr langer Arbeitszeit es nur auf einen Reinverdienst von 50 bis

*) Das Elend in der Hausindustrie der Konfektion. Leipzig, Fr. Willi. Grunovr. 1890.