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Helferinnen, hat die Verfasserin bei 261 Personen, die in den verschiedenen genannten Zweigen der Konfektion als Arbeiterinnen oder Zwischenmeister thätig waren, mit Hilfe von Fragebogen eingehende Erkundigungen ein­gezogen, die sie mit sehr grossem Fleiss und sorgfältiger Detailausführung verarbeitet hat. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie über die schon so ungemein oft behandelten Fragen der niedrigen Löhne, der langen Arbeitszeit, der schlechten Wohnungen u. s. w., nichts wesentlich neues beizubringen vermochte. Immerhin bieten aber auch ihre an vielen kleinen interessanten Zügen reichen Schilderungen des hausindustriellen Elends eine wichtige Ergänzung des bisher Bekannten. Der Hauptwert der Arbeit liegt jedoch in der eingehenden Untersuchung der Ursachen, durch welche diese betrübenden Erscheinungen hervorgerufen werden. Die Verfasserin ist nicht in der weitverbreiteten einseitigen Auffassung befangen, die alles hausindustrielle Elend einfach der Betriebsform, dem Verlagssystem und dem Zwischenmeistertum, zur Last legt und die infolgedessen die Errichtung von Betriebswerkstätten und ein radikales Verbot der Haus­industrie fordert. Fräulein Dyhrenfurth weist vielmehr mit Recht darauf hin, dass der Hauptübelstand, die niedrigen Löhne, keine der liaus- industriellen Konfektion eigentümliche Erscheinung ist, sondern dass ge­ringe Bezahlung der weiblichen Erwerbsarbeit auch auf allen anderen Gebieten vorkommt. Denn fast überall findet ein übermässiges Angebot von weiblichen Arbeitskräften statt, die zugleich ein ungenügendes Inter­esse an der Bezahlung haben, da ihre gewerbliche Thätigkeit vielfach nur eine zeitweilige ist und in der grossen Mehrzahl der Fälle nur auf eine Ergänzung des Arbeitslohnes des Ehemannes oder des Einkommens der Eltern abzielt, ohne sie zu fest normirten Lohnansprüchen zu drängen; dazu kommt dann noch die fortschreitende Arbeitsteilung, durch welche ungelernte Elemente in steigendem Masse an der Produktion beteiligt werden können.

Den auf eine radikale Beseitigung der Hausindustrie abzielenden Bestrebungen tritt Gertrud Dyhrenfurth entschieden entgegen, indem sie auf die zahlreichen Frauen hinweist, die neben ihrer Erwerbsarbeit ein Hauswesen zu besorgen haben, und durch diese Massregel in die grösste Not geraten würden. Auch die übertriebenen Vorwürfe, die man vielfach gegen jede häusliche Erwerbsarbeit der Arbeiterfrau erhebt, werden auf ihr berechtigtes Mass zurückgeführt, wobei die Verfasserin betont, dass auch die Frau des Bauern in der Landwirtschaft und die des Kleinhändlers im Verkaufsgeschäft eifrig thätig ist, ohne den Haushalt und die Kinder zu vernachlässigen.

Als Heilmittel gegen die Schäden der Hausindustrie verlangt Fräu­lein Dyhrenfurth die Zwangsorganisation der Unternehmer, Zwischenmeister und Arbeiter und Arbeiterinnen, die in gemischten Vertreterschaften die Arbeitsbedingungen mit rechtsverbindlicher Kraft für alle Beteiligten festzusetzen und namentlich einen Mindestlohn zu fixiren hätten. Eine derartige Organisation hatten vielfach die grossen Hausindustrien im Zeit­alter des Merkantilsystems; man denke an die Lyoner und Pariser Seidenindustrie, die Kleineisenindustrie am Niederrhein u. s. w. Ähnliche Wege ist mit gutem Erfolge auch neuerdings eine Zeit lang der ost­schweizerische Stickereiverband gewandelt, der aber schliesslich daran zer­schellte, dass die ganze Organisation auf Freiwilligkeit beruhte und des­halb ernsten Krisen nicht standhielt. Auch in Viktoria (Australien) hat die Gesetzgebung 1896 diesen Weg betreten. Die Idee einer Zwangs­organisation der Hausindustrie ist namentlich von Gustav Schmoller stets eifrig verfochten worden.

Zum Schluss sei noch bemerkt, dass die Berliner Statistik von dem Umfang der Thätigkeit der verheirateten Frauen ein ganz schiefes Bild