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Einen Beweis dafür, wie oft der Zufall ein schlummerndes Talent, weckt, bietet das Leben der amerikanischen Bildhauerin Edmonia Lewis. Als Tochter eines Indianers und einer Negerin war sie aufgewachsen in der wilden Freiheit des Urwaldes. Kühn durchstreifte sie die heimatlichen Wälder, Jagd und Fischfang waren ihre liebsten Beschäftigungen. Da weckte der Anblick einer Statue Franklins plötzlich in ihr die Sehnsucht, selbst ein solches Kunstgebilde zu schaffen; das in ihr schlummernde Talent war erwacht, mit dem Meissei in der Hand begann sie rastlos zu arbeiten ohne eigentlichen Lehrer. Ihre Erstlingsarbeiten, die Büste des „Obersten Shaw“, die „Statue einer befreiten Sklavin“ erregten Staunen und Bewunderung. Später nahm sie ihren Wohnsitz in Rom, und sandte von dort aus verschiedene Werke in ihre Heimat, unter denen der „Tod der Kleopatra“,, und „Zwei Gruppen nach Longfellows Hiawatha“ wohl die bedeutendsten sind. Mehrfach hat sie dann noch die Kunstausstellungen mit interessanten Portaitbüsten und Gruppen beschickt. Man könnte das hier Ausgeführte noch um manchen Namen ergänzen; auch unter den jugendlichen Bildhauerinnen der Gegenwart manches aufkeimende Talent namhaft machen, das, nach den ausgestellten Gruppen und Büsten zu urteilen, Bedeutendes zu leisten imstande ist.
d) Die Lithographin, Radirerin und Kupferdruckerin. Der Lithograph Lamparter in Stuttgart schreibt in der Zeitschrift: „Frauenberuf“:
Man liest so viel von neuen, manchmal von den allerwunderlichsten Frauenberufsarten; heute sei auf ein Gebiet aufmerksam gemacht, das in der Neuzeit so gut wie gar nicht von Frauen gepflegt wird, das Zeichnen auf Stein, die Lithographie. Als in den ersten Jahrzehnten der Erfindung dieser neuen Kunst die Künstler Münchens sich daran machten (erstmals im Jahre 1804 und dann 1817) durch Original-Arbeiten, d. h. durch eigenhändiges Steinzeichnen den Erfinder Senefelder und seine Kunst zu ehren, haben sich denselben nicht wenig Künstlerinnen daselbst angeschlossen, unter ihnen die bekannteste, Electrine Stuntz, welche sogar von Senefelder durch die Aufnahme einer ihrer Steinzeichnungen in die Mustersammlung seines ,Lehrbuch der Steindruckerei“ geehrt wurde. Auch in Frankreich beteiligten sich in der Blütezeit der Lithographie Damen der höchsten Stände an der Pflege des jungen Kunstzweiges. Vielbekannt ist ja die 1899 gestorbene Pariser Tiermalerin Rosa Bonheur, welche auf der Stuttgarter Plakatausstellung mit einer lithographirten Pferdedarstellung glänzte. Ferchl in seiner „Geschichte der ersten lithographischen Kunstanstalt in München 186'J“ bemerkt hierzu: „Billig nehmen auch die Frauen in dieser grossen Künstlerreihe (Inkunabelnsammlung) einen vorzüglichen Ehrenplatz ein. Dieselben haben zu jeder Zeit und in jedem Kunstzweig die ausgezeichnetsten Werke geliefert. Doch ist ihnen zur Vervielfältigung ihrer Kunstarbeiten noch nie eine Erfindung so willkommen gewesen, als die hierzu allein geeignete chemische Druckkunst Senefelders. Jede freie Handzeichnung gilt zugleich als- Druckplatte.*) Ohue die Lithographie hätten viele ihres Geschlechts sich
*) Eine Kunst, welche, wie Bouchot in seinem Buch „La Lithographie“ sagt, den Künstlern erlaubt, sie selbst zu sein.