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Vor den Parterren in den Gärten und öffentlichen Anlagen füllen sich alljährlich die Beete auf den Hüten unserer Schönen mit Blumen. Es ist darum wohl von Interesse für unsere Damen, zu erfahren, wie sich die Arbeitsbedingungen ihrer minder glücklichen Schwestern gestalten, die mit geschickten Fingern helfen, ihnen jenen Putz zu liefern, der den Beiz ihrer Erscheinung noch erhöht. Diese Arbeitsbedingungen sind nun die denkbar traurigsten. Die Blumenindustrie ruht fast ausschliesslich in weiblichen Händen. Ein Avancement ausser von gewöhnlicher Arbeiterin zur Aufseherin gibt es nicht. Die Arbeiterin wird nicht nach Mass ihres Könnens, sondern nur nach der Dauer ihrer Arbeit entlohnt. Der Wochen­lohn beträgt bei zehnstündiger Arbeitszeit 2B fl., wenn die' Arbeiterin den Mittagstisch erhält, wenn nicht, 6 fl., in einzelnen Fällen 8 fl. Haus­arbeit kennt man in diesem Zweige des Gewerbes fast gar nicht, höchstens dass hier und da ganz gewöhnliche Bosen im Hause der Arbeiterin ver­fertigt werden. Für 12 Dutzend Bosen werden 4 fl. 50 kr. bezahlt. An einem solchen Gros arbeitet eine geschickte Arbeiterin bei zehnstündiger Arbeitszeit sechs volle Tage. Farbe, Stoff, Zwirn und Draht muss sie noch unentgeltlich dazu liefern, widrigenfalls ihr die Kosten hiervon von ihrem Lohn abgezogen werden.Das sind Hungerlöhne, unwürdig unserer vorgeschrittenen Zivilisation, wird jede Frau ausrufen, wenn sie diese Daten vernimmt. Hungerlöhne gewiss, zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben, aber nicht derhartherzige Fabrikant trägt an ihnen die Schuld, sondern Sie selbst, meine Damen, verzeihen Sie, dass man Ihnen das so ungeschminkt sagt! Wenn Sie in ein Geschäft treten, verlangen Sie fast ausnahmslosfranzösisches Fabrikat. Bei der Modistin, die Ihre Hüte nicht mitPariser Bosen schmückt, oder es Ihnen zum Mindesten nicht weismacht, gehen Sie einfach weiter.Niemand ist Prophet im eigenen Lande. Nirgendwo ist das alte Wahrwort aber in seiner rück­sichtslosesten Bedeutung so zutreffend, wie bei uns in Wien. In Damen­luxusartikeln sind die Fabrikanten, was die Modelle anbelangt, fast in jeder Branche ausschliesslich auf den französischen Markt angewiesen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Blumenindustrie. Jedes Frühjahr und jeden Herbst lassen die Fabrikanten und Grossisten sich die Muster­karten für die herrschenden Farben der künftigen Saison, sowie die zur Mode berufenen Blumen und Blättergattungen aus Paris verschreiben, und diese Modelle werden dann in Wien vervielfältigt, für den hiesigen Ge­schmack adoptirt und verbilligt. Der letzte Punkt ppmentlich fällt ins Gewicht. Eine Wiener Kopie, und wäre sie auch was thatsächlich beinahe immer der Fall ist vom Original selbst für den Kenner nicht zu unterscheiden, muss um 50 Prozent billiger erhältlich sein, soll sie bei uns auf Absatz rechnen können. Am deutlichsten zeigt sich dieses Moment bei den gegenwärtig so beliebten Biesenblumen. Die Pariser schattirte Centifolie kostet 7 Franken (fl. 3,50), die in Wien verfertigte darf nur um den Preis von fl. 1,75 feilgeboten werden, soll sie auf Käufer rechnen. Von gefülltem Mohn, auch Phantasie-Orchideen und Biesendoppelnelken kosten die Modelle in den Modefarben fl. 1,50, die Kopien 85 kr. Man erhält einen sehr schönen Strauss Wiener Maröchal Niel-Bosen bereits um den Preis von 3 fl., das Originalbouquet hingegen nicht unter 5 fl. Flieder, Levkoyen, Chrysanthemen müssen durchschnittlich, wenn sie einheimisches Erzeugnis sind, um 50 Prozent billiger feilgeboten werden, als wenn sie importirte Waren sind. Dass die Qualität des Materials und die Feinheit der Ausführung in beiden Fällen identisch sind, ist wohl selbstverständlich. Das eingangs erwähnte Gros Monatsrosen muss nicht blos der Grossist, sondern sogar der Detaillist um 5 fl. liefern, will er sie nicht auf dem Lager behalten. In den feineren Gattungen von Blumen ist daher, wie man sich vorstellen kann, der Import von Frankreich nach Österreich