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15. Kaffeeverleserinneii

Gewöhnlich wird in Hamburg, dem grössten Kaffeemarkt des Kontinents, das Geschäft desVerlesens 44 (Beseitigung der schlechten Bohnen, des Unrates u. s. w.) von Frauen und Mädchen auf sog. Kaffeeböden besorgt. Daneben wird Kaffee auch in Gefängnissen ver­lesen. Neuerdings aber hat sich auch die Heimarbeit dieser Thätig- keit bemächtigt. Louise Zietz schreibt darüber in der ,,Gleichheit (Nr. 13, 1898) u. A. folgendes:

Zu einem Stift in Hamm bei Hamburg gehört auch ein grösseres Gebäude, in dem früher Kräuter u. s. w. zu medizinischen Zwecken sortirt wurden, in dem jetzt aber Kaffee verlesen wird. Von dort holen sich Frauen während der Saison bis zu 200 aus der ganzen Umgegend aus Hamm, Horn, Eilbeck u. s. w., Kaffee zum Verlesen in ihre Wohnung. Arbeit erhalten nur Frauen, die eine Bescheinigung ihrer Bedürftigkeit von dem im Ort amtirenden Pastor oder der Armenverwaltung beibringen können. Die Akkordsätze für diese Heimarbeiterinnen sind um zirka 20 Prozent niedriger als für die Bodenarbeiterinnen. Ausserdem müssen die Frauen vielfach Witwen beim Abliefern, sowie bei der In­empfangnahme des Kaffees nicht nur stundenlang, sondern oft den ganzen Tag warten, bevor sie abgefertigt werden .... Nicht nur die Frauen, auch die Kinder teils in so zartem Alter, dass sie auf den Stühlen knieen müssen, um an den Tisch reichen zu können hocken um den Tisch und sind mit fieberhafter Eile am Verlesen .... Wie es in der Wohnung aussieht, davon kann man sich nur ein richtiges Bild machen, wenn man daran denkt, dass meist ein einziger Baum als Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer dient. Wenn man eine solche Wohnung betritt, so glaubt man, von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, nicht in einer menschlichen Behausung sich zu befinden, vielmehr wähnt man, in eine Höhle geraten zu sein. Alles starrt von Schmutz, Menschen wie Möbel. In einer solchen Umgebung, von schmutzigen, halbnackten Menschen wird der Kaffee verlesen. Zwischen dem verlesenen Käffee wurden schon bei der Ablieferung schmutzige, nasse Windeln gefunden! . . . Eine Frau hat mir weinenden Auges geklagt, dass sie mit Hilfe ihrer beiden Kinder nicht mehr wie 34,50 M. die Woche verdienen könne. Eine andere Frau, die allein arbeitet, versicherte mir, dass sie nie mehr wie 1,502 M. die Woche erarbeite. Eine Dritte bringt es mit Hilfe von 6 Kindern auf 12 M. die Woche. Der Unternehmer aber spart dank der Heimarbeit nicht nur Miete, Licht und Lohn, sondern auch die Beiträge zur Invaliden- und Altersversicherung sowie die Krankenkassenbeiträge.

Solche Zustände schreien geradezu nach einer Regelung der Hausindustrie und Heimarbeit schon aus sanitären Gründen!

Wie Louise Zietz (Hamburg) in der Sozialen Praxis (1898, Nr. 46) mitteilt, sind in Venlo ähnliche Zustände wie in Hamburg.

In der Stadt und deren nächsten Umgebung sind etwa 200 Familien, die sich ausschliesslich dieser Beschäftigung hingeben. Da werden alle Glieder der Familie, vom alten kümmerlichen Greis bis zum Kind im zartesten Alter, von morgens früh bis abends spät angespannt, um das zum Leben Nötige zu erarbeiten. Die äusserst karge Entlohnung ist auch hier der Umstand, der die betreffenden nicht nur zum langen, sondern auch zum intensiven Arbeiten zwingt. Ist doch die Entlohnung noch eine knappere als in Hamburg. Auch ist die Art der Entlohnung eine andere.