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Zweite Reise nach dem Sudahn, Reise nach dem Sinai und Heimkehr
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zeuge setzen sie in den Stand, in dieser Zeit Großes zu leisten: sie durcheilen in wenig Stunden ungeheure Strecken. Ihr Flug ist eher ein Schweben zu nennen als ein Fliegen, mehrere Minuten lang sieht man keinen Flügelschlag und dennoch bewegen sie sich sehr rasch und ohne jede bemerkliche Anstrengung. Aus der Höhe, in welcher sie dahin streichen, können sie ein ungemcin großes Feld absuchen; sie leiden selten Mangel, denn in ihrem ausgedehnten Gebiete findet sich für sie fast immer Beute. Vor zehn Uhr Vor­mittags habe ich sie niemals auf dem Aase erscheinen, länger als vier Uhr Nachmittags niemals dort weilen sehen. Die einzelnen Arten halten sich mehr oder weniger zusammen, obgleich man alle Arten auf ein und demselben Aase zusammen beobachten kann.

Um die Etymologie des WortesGeier" verstehen zu kön­nen, muß man die Vögel beim Fressen beobachtet haben. Sie zei­gen dabei eine so große Gier, als müßten sie sich mit einem Male auf mehrere Monate verprovianiircn. Mit wagrecht vorgestrecktem Halse, erhobenem Schwänze und schleppenden oder ausgebreiteten Flügeln eilen sie in mächtigen Sätzen auf das Aas zu, bei dem ein Gewimmel, Streiten, Zanken und Arbeiten entsteht, welches gar nicht zu beschreiben ist. Die Ohrcngeier reißen die dicke Haut mit wenig Schnabclhicbcn auf und behandeln die solideren Muskeln; die langhälsigcn Geier öffnen sich die Bauchhöhle, stecken ihren Hals bis zur Halskrause dahinein, wühlen in den Eingeweiden herum, fördern sie zu Tage und kämpfen wüthend mitsammen um Darmschlingen; nur die schmutzigen Aasgeier sitzen mit Adlern, Milanen und Naben, so lange die Ge­waltigen fressen, entsagend um die Gruppe herum, höchstens hier und da ein abfallendes Bröcklcin erhäschend. Beständig kommen neue hinzu, welche mit wahrer Wuth die schon halb Gesättigten von der köstlichen Speise zu vertreiben suchen. Es entsteht wiederum Kampf, Lärmen, Beißen und ingrimmiges Gczwitscher denn laute Stimmen haben die Geier nicht und das dauert so lange, als noch Aas vorhanden ist. Dabei wundert man sich über die Leichtigkeit und Schnelligkeit ihrer Bewegungen, weil man rück- fichtlich ihrer ziemlich plumpen Körpergestalt eine große Schwerfäl-