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VII. Geier.
,,Wo aber ein Aas ist, da sammeln sich die Adler."
Matthäus 24 , 28.
Im hohen, kalten Norden stirbt ein Thier und die Natur überdeckt seinen Leichnam mit ihrem schneeigen Leichcntuche, krystallistrt die flüssigen Theile des Körpers und wandelt sie in eine feste Masse um, welche sich — wie uns die in den Eisfeldern aufgefundenen Mamonts beweisen — Jahrtausende hindurch, ohne die geringste Spur der Verwesung zu zeigen, erhält; im Süden bestattet sie ihre gefallenen Geschöpfe in anderer Weise. Dasselbe Licht, dieselbe Wärme, welche Leben und Gedeihen, Wachsthum und Blühen der Thiere und Pflanzen wunderbar beschleunigten, wirken auch mit voller Kraft auf ihre Zerstörung und führen in wenig Stunden den Akt der vehementesten Fäulniß herbei. Und darum, daß der aus der Reihe der Lebenden geschiedene Körper nicht die noch lebendigen Ncbengcschöpfe gefährde, sandte der Schöpfer dorthin, in die unter der Tropcnsonne glühenden Länder, seine Boten, die Geier. Ehe noch daS sich in die Urstoffe der thierischen Materie auflösende Aas die Luft verpestet, erscheinen sie, die immer bereiten, nimmer müden Wächter, vertilgen das Schädliche, assimili- ren den der Vernichtung geweihten Stoff und verhindern die Wirksamkeit der giftigen Gase. Acht Arten dieser Reiniger der Atmosphäre kennen wir in Nord-Ost-Afrika*); unter ihnen sind die beiden Ohrengeicr die größten, denn sie klaftern von einer Flü- gelspitze zur andern oft über zehn (deutsche) Fuß, die eigentlichen Aasgeier, von denen iVeopllron pileatus höchstens die Größe unseres Kolkraben erreicht, die kleinsten.
Am Saume der Wüste liegt ein verendetes Kamel. Die ungeheuren Beschwerden der Wüstenreisc, ein erlittener Samuhm haben es erschöpft; es erreichte, obgleich der Treiber dem ermatteten
*) Nämlich: dleopliro» perenopterus, lV. pilestus oder inonscluis, Vul- tur (6^ps) kulvus, 6^ps Nueppellü, , 6, denxslensis, Vultur occipils-
lis, Knockst, Otoxvps suriculsris und 0. peunatus, tVobtr.