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Nähtcrinnen im Allgemeinen.

Hemdes bekam die arme Nähterin keine Bezahlung, sondern nur leere, unwahre Vertröstungen. Auf solch' schmachvolle Weise gelangten diese gewissenlosen Menschen zu ihrem Bedarffertiger Hemden", ohne daß sie nöthig gehabt hätten, auch nur einen Cent Arbeitslohn dafür zu zahlen. So manipulirten aber nicht Amerikaner, nein, Ein- gewanderte waren es, die sich mit solch' schmutziger Spekulation befaßten.

Die Beschäftigung deö Handnähens war in Ncw-Iork (bis 1845) bis zum Ueberflusse besetzt. Aber dennoch war es in guten Geschäfts­zeiten unmöglich, eine Nähterin zu bewegen, sich in eine Landstadt zu begeben; während sie in arbeitsloser Zeit sich wohl dazu geneigt zeigten. Dann aber bedurfte man ihrer auch wieder nicht. Gerade aber durch den Ucbcrfluß an Arbeitskräften entstand unter den Kleider­händlern eine Concurrenz, fertige Kleider zuallerbilligsten Preisen" zu verkaufen, welche die ohnehin geringen Löhne der Handnätherinnen noch mehr herabdrückte.

Auch in London waren die Handnähtcrinnen ehemals die weib­lichen Sklaven dieser Weltstadt. Sie arbeiteten massenweise in schlecht ventilirten Räumen, und der darin befindliche Kohlenstaub beschmutzte noch obendrein die Arbeit. Vom frühen Morgen an mußten sie bei der Arbeit sein, die bis tief in die Nacht hinein dauerte, wobei ihnen im Laufe des Tages kaum einige Minuten zur kärglichsten Mahlzeit, geschweige denn zu einer Erholung vergönnt blieben. Selbst bei dieser aufreibenden Lebensweise verdienten solche Arbeiterinnen nur einen durchschnittlichen Wochlohn, der, nach amerikanischem Gelde, ungefähr 75 Cts. beträgt.

Die Lage dieser ärmsten der weiblichen Handarbeiterinnen in Deutschland schildert CarlReclam in seinem schon erwähnten Buche (S. 246):Welches weibliche Geschöpf kann aber heutzutage, bei den durch erdrückende Concurrenz so erschreckend herabgeminderten Arbeitspreisen, von dem ihr Leben fristen, was sie mit der Nadel verdient? Vorausgesetzt, daß es gelänge, gleich Arbeit zu finden, würde doch im Anfange kaum mehr als ein halber Thaler in der

Woche verdient werden können. Die geübteste Weißnähterin» welche

14 Arbeitsstunden des Tages in ununterbrochener Thätigkeit über ihrer Arbeit sitzt, vermag doch nicht mehr, als 1^2 Thaler in der Woche zu verdienen. Diesen höchsten Arbeitslohn erreichen nur We­nige, denen durch eine jüngere Schwester oder eine Mutter die Sorge für die gröberen Geschäfte des kleinen Haushalts abgenommen wird, und die bereits durch jahrelange Thätigkeit geübt, bei den Arbeit­gebern bekannt und beliebt sind. Die Mehrzahl der guten und flei­ßigen Arbeiterinnen verdient mit den gewöhnlichen weiblichen Hand­

arbeiten wöchentlich einen Thaler. Wollen Leserinnen und Leser sich selber die Frage beantworten, ob und wie man für einen solchen Verdienst sich Wohnung, Essen, Kleidung, Heizung, Beleuchtung anzuschaffen vermag, auf welche Weise die nothwendigen Ersparnisse