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Daß der so sonderbar gestaltete, so merkwürdig befiederte Strauß die Aufmerksamkeit der Araber auf sich lenken mußte, ist erklärlich. Die Poesie kam der Sage zu Hülfe und baute auf schwankendem, für sie jedoch felsenfestem Grunde ein prachtvolles Gebäude mit herrlichem Schmuck. Ein ebenso dichterischer als religiöser Mythus gibt uns Kunde von der Entstehung der verkrüppelten Flügel und zerschlissenen Federn des Straußes.
„Vor mehr als tausend Jahren", so erzählen die Nomaden Kordofahns, „glich der Strauß noch der Hubahra (dem Trappen*)) und bewohnte mit ihr gemeinschaftlich die weite Ehala. Damals flog er vortrefflich, war auch nicht so scheu, als jetzt, wo er dem herannahenden Menschen mit riesigen Schritten enteilt, son-' dem lebte in Freundschaft und Vertrauen mit und zu den Menschen und anderen Thieren der Einöde. Eines Tages sagte die Hubahra zu ihm: „Lieber Bruder, wenn es Dir recht ist, wollen wir morgen — in seine lillalii! — (oder inselralla, so Gott will) an den Fluß fliegen, dort trinken, uns waschen und dann zu unseren Kindern zurückkehren." „Wohl", antwortete der Strauß, „wir wollen fliegen!" setzte aber nicht hinzu: inschallah, denn er war hochmüthig und beugte sich nicht unter die Macht dcS allbarmherzigen und ewigen Gottes — dessen Preis die Engel im Himmel uns künden, dessen Ruhm der Donner in den Wolken feiert**) — weil er bisher nur dessen unerschöpfliche Gnade kennen gelernt hatte, sondern trotzte auf seine Kraft und seine starken Schwingen. Am anderen Morgen rüsteten sich beide zur Reise, erhoben sich und die Hubahra sagte: „Ls issm lill-ckri" (im Namen Gottes), dann flogen sie dem Auge Gottes (der Sonne) zu. Und der Strauß schwang sich höher und höher hinauf und eilte mit gewaltigen Flügelschlägen der Hubahra weit voraus. Sein Herz war voll Stolz und Hochmuth, er vergaß der Wohlthaten des die Wohlthaten Spendenden und glaubte, nur seiner eigenen Kraft vertrauen zu können. Aber das Maß der Gnade des All-
*) Otis srsds.
**) Worte des Khorahn.