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^ aber noch ist mir Eins nicht klar geworden: jenes Etwas,
l! welches die Zugvögel dazu bewegt, so ungeheure Wegstrecken zu
durchwandern, ehe sie Ruhe finden; jenes Etwas, das sie ^ treibt, Orte zu verlassen, welche ihnen jahraus, jahrein, nach
menschlichem Ermessen wenigstens, alles zu ihrem Wohlbefinden Erforderliche bieten.
„Die Vogel verlassen unsere Gegenden", sagt der vogelkun- dige Altmeister Naumann in seinem ausgezeichneten Werke, „um der eintretenden Kälte und dem Mangel an Nahrung auszuwei- l chen, sie fliegen gemächlich in wärmere Länder, haben während
ihres Zuges also immer dieselbe Temperatur der Luft und dieselben l Nahrungsmittel in Ueberfluß bis zu dem Orte ihres Winteraufent-
haltes und kommen, sowie jene Ursachen sich allmählig verlieren, ebenso wieder von da zurück." „So wie sie von der ihnen folgenden Kälte nach und nach von uns fortgetrieben werden, so muß sie im Gegentheile eine größere Wärme, als ihnen angenehm ist,
! zum Rückzüge bestimmen u. s. w."
Meine Beobachtungen haben in mir Zweifel an der Wahrheit > dieser Ansichten erregt. Der Mangel an hinreichender Nahrung
und Wärme kann es nicht allein sein, welcher die Vogel zum Wandern treibt. Es muß noch andere Beweggründe dazu geben. Sagt doch Naumann, fast sich selbst widersprechend:
„Der Trieb, in wärmere Länder zu ziehen, ist dem Vogel angeboren und die Eltern haben nicht nöthig, ihren Kindern erst den Weg zu zeigen. Jung aus dem Neste genommene und aufgezogene, in einer geräumigen Kammer frei herumfliegend unterhaltene Vögel *) beweisen dies hinlänglich. Sie schwärmen während ihrer Zugzcit des Nachts so gut in ihrem Gefängnisse umher, als wenn man alte ihrer Art darinnen unterhält."
Ja, dieser ihnen angeborene Trieb, zu wandern, diese Sehnsucht, ferne Länder zu besuchen, dieses nur in seltenen Fällen geschwächte Streben, ihre Heimath zu gewissen Zeiten zu verlassen
*) Diesen fehlt es also weder an hinreichender Nahrung, noch an Wärme. Br.
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