Die Stickerei.

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Schleppe der Tunica oder des Ueberkleides auf das künstlichste mit Bordüren, fcingeschlagcnen Goldblechen oder gediegenen Goldfäden zu verzieren. In den Blüthentagen Griechenlands bildete die Kunst zu sticken einen Zeitvertreib unter den Frauen aller Stände. Im Mittelalter war diese Beschäftigung insbesondere in den Nonnenklö­stern und von edlen Frauen geübt, daher man damals die Stickerei hauptsächlich zum Schmucke der Kirchen verwendete. Alle kirchlichen Ornamente, die aus jener Zeit stammen, beweisen, zu welcher Höhe des Kunstfleißes und des Luxus die Stickerei damals gestiegen war. Staunenswerthes Zeugniß hievon giebt ein aus dem 12. Jahrhundert stammendes Meßgewand, welches zu St. Peter in Nom aufbe­wahrt wird, und von welchem Meisterwerke die kaiserliche Bibliothek in Paris eine kunstvoll ausgeführte colorirte Abbildung besitzt. In unserer Zeit hat sich jedoch zum Theile die Industrie dieser Fer­tigkeit bemächtigt und ist der Handarbeit auch die Maschine zu Hülfe gekommen. Tausende von Frauenspersonen verdienen sich nun mit Sticken ihren Lebensunterhalt oder erwerben sich einen erforder­lichen Nebenverdienst.

Die Stickerei, das heißt die Kunst vermittelst der Sticknadel auf einem durch einen eigenthümlichen Rahmen ausgespannten Gewebe mit farbigen Baumwoll-, Seiden-, Gold-, Silber-Fäden u. s. w. irgend ein Bild hervorzubringen, können wir aus's einfachste in zwei Klassen, die Platt- und die Erhaben - Sticker ei, eintheilen. Das Plattsticken mit Wolle oder Stickscide auf Stramin nach be­sonderen Stickmustern ist eine der im Allgemeinen am leichtesten zu erlernenden weiblichen Handarbeiten. Schwieriger und viel Uebung erfordert nun aber schon das Erhaben-Sticken z. B. von Buch­staben, Ziffern, Namen, Blumen, Wappen oder anderen Mustern in Battist, Mousselin, Mull, Kasimir, Seide, Atlas, Sammet und an­deren Stoffen, sowie in Spitzengrund zur Herstellung von Taschen­tüchern, Halstüchern, Kragen, Unterärmeln, Schleiern, Ballkleidern, Vorhängen, Flaggen und Fahnen, Altartüchern u. s. w. Diese Art von Stickerei liefert oft sogar wahre Kunstwerke, und ist immer mehr oder minder kunstvoll angefertigt. Von der eigentlichen Kunst­stickerei wird jedoch im zweiten Bande dieses Werkes die Rede sein.

Die schweizerischen und zum großen Theile auch die sächsischen gestickten Weißwaaren, sowie die Erzeugnisse aus den Stickereigeschäf­ten der größeren Städte liefern den besten Beweis, wie weit man es in der Kunst des Stickens gebracht hat. Allein ist schon die Handnähterei überhaupt, insbesondere aber die feinere, eine mühselige, wegen des langsamen Fortschrittes derselben bekanntlich armselig be­zahlte Arbeit, welche zum Nachtheile des kostbaren Augenlichtes und wegen der sitzenden und gekrümmten Haltung des Körpers auch auf Kosten der Gesundheit und der Lebensdauer geschieht: so treffen diese schweren Folgen beim Sticken (zum Erwerbe getrieben) in vergrößer­tem Maßstabe ein. Man hat deshalb auch auf Maschinen gesonnen,