192 Die Stickerei. Fabrikation der Spitzen.

Ueber Aufzeichnen von Stickereien und Anfertigung von Stickerei-Schablonen oder Patronen u. dergl. sehe man unter den Vermischten Beschäftigungsarten".

73. Fabrikation der Spitzen. Was giebt der prächtigsten Balltoilette erst die gewünschte Leichtigkeit und jenen reizenden, feen­haften Nimbus, der den Ballsaal und die darin auf- und abwogen- den Gestalten als zu einer Zauberwelt gehörig erscheinen läßt? Es sind die zarten Gewebe der Spitzen, entstanden unter den ge­duldigen Händen armer, blasser Kinder und Frauen, die, über ihr Klöppelkissen oder sonst auf die schwierige Arbeit nie­dergebeugt, mit bewunderungswürdiger Ausdauer die reizenden Mu­ster schaffen, welche hier das Kleid und den Schleier einer glücklichen Braut, dort die Volants einer jungen, blühenden Schönen und aber­mals dort die Mantille und das duftende Tuch einer Dame im rei­feren Alter zieren. Unter Spitzen versteht man die zarten, aus seidenen, leinenen oder baumwollenen, am besten aus gezwirnten Fä­den, bisweilen auch aus Gold- und Silberfäden gebildeten Gewebe, welche einen Grund mit offenen Maschen, und in diesem ein Muster zeigen, das bei geklöppelten Spitzen durch besondere Combination der Maschen, sonst aber durch Nähen gefertigt wird. Die Spitzen hat man bis in die frühesten Zeiten zurück schon gekannt, und daß sie von den Völkern des Alterthumes in der vollendetsten Art zum Schmuck namentlich der Frauenkleider benutzt worden sind, beweist schon unter Anderm eine Stelle in der Jliade, in welcher Homer die Frauen, köstliche Schleier in dem Palaste des Priamus stickend", dargestellt und durch seine Gesänge unsterblich gemacht hat. Auch die phrygi- schen Frauen zeichneten sich nicht blos im Sticken, sondern auch im Spitzen nähen durch die Geschicklichkeit aus, mit welcher sie vermit­telst ihrer Nadel die schönsten, durchsichtigsten Spitzengewebe anfertig­ten. Im Mittelaltcr ward die Kunst, Spitzen zu nähen, gleich dem Sticken, ausschließlich in den Klöstern betrieben, wo man sich statt der Nadel zuerst der Klöppel bediente. Die frommen Bewohnerin­nen jener Häuser schmückten mit den zarten Geweben die Gewänder ihrer Heiligen und die Altäre ihrer Kirchen. In späteren Tagen verlor sich die Kunst, Points, wie man die Spitzen nannte, zu klöp­peln, fast gänzlich, und ihr Werth stieg gerade ihrer Seltenheit we­gen zu einem unglaublich hohen Preise. Im 16. und 17. Jahr­hundert zeichneten sich vor allen anderen die Niederlande durch die Vollkommenheit aus, mit welcher dort von Frauen und Mädchen die Klöppelspitzen angefertigt wurden. Die Spitzen aus Flandern wurden seit dieser Zeit weit und breit berühmt, gesucht. Nicht allein die Frauen bedienten sich ihrer zu dem graziösen Schmuck ihrer Klei­der und Coiffuren; nein, Staatsmänner, Künstler, die rauhen Helden des Schlachtfeldes, wie die zierlichen der Salons, alle schmückten sich mit den Spitzen aus Flandern und Brabant. An allen europäischen