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Die Beschäftigung des weiblichen Geschlechts in der Hand-Arbeit oder praktische Nachweisung der Thätigkeit der Frauen im Haushalte, im Verkehr, in der Klein- und Groß-Industrie, in den verschiedenen Gewerben, selbstständigen Erwerbsarten, und den zunächst damit verbundenen Absatz-Geschäften / von A. Daul. Mit einem Vorwort von Max Wirth
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Die Schafzucht.

Um die Schafzucht recht gewinnbringend zu machen, kommt es vor Allem darauf an, welche Richtung die Absatzverhältnisse andeu­ten. Denn die Haupterzeugnisse des zahmen Schafes sind Schlachtfleisch und Wolle. Für den Schafzüchter gilt hier insbesondere das Sprichwort, daß manzwei Herren nicht dienen könne", d. h. er kann nicht Schafe ziehen, welche zugleich viel Fleisch und dabei auch feine Wolle geben, oder umgekehrt. Sondern das Eine schließt das Andere schon von Vorne herein aus; da man be­reits bei der Wahl der Thiere mit sich einig sein muß, welche der beiden Richtungen man verfolgen wolle: diejenige, welche feine Wolle haben, oder jene, die aus dem Verkaufe wohlgenährten Schlachtvie­hes den größten Nutzen ziehen will. Bei Schafzüchtern, die auf den Gewinn feiner Wolle sehen, kommt Schlachtvieh eigentlich erst in zweiter Reihe in Anbetracht. Schlachtvieh lebt auch blos einige Jahre lang, in ziemlich kleinen Heerden und vermag nur in der Nähe großer Städte am vortheilhaftcsten gehalten zu werden; während man das feinwollige Schaf am Leben läßt und in großen Heerden ent­fernt von Städten halten kann, da ihr Erzeugniß ja leicht zu ver­packen und auf den Markt zu versenden ist.

Unter den Hausthieren ist das Schaf eines der nützlichsten und unentbehrlichsten. Aber in Bezug seiner Seeleneigenfchasten steht es unter denselben nicht nur am niedrigsten, sondern es scheint, während andere Thiere durch die Zähmung gewonnen haben, gerade dadurch von seinem natürlichen Zustande hcrabgekommen zu sein. Denn un­beholfen, fast wehrlos, dumm und unbedacht, wie das Schaf ist, wäre es längst die Beute der reißenden Thiere geworden, wenn es der Mensch nicht in seine schützende Obhut genommen haben würde. Das Schaf war nebst dem Hunde wahrscheinlich das erste Thier, welches der Mensch vor vielen Jahrtausenden zahm gemacht hat. Denn wenn man in Europa hie und da auf Spuren von dem Leben und Trei­ben der Urmenschen stößt, findet man zugleich auch abgenagte Kno­chen von Schafen mit, welche aber viel kleiner gewesen sein müssen, als die der jetzt gewöhnlichen Racen. Das Schaf hat schwache Sinne und einen noch schwächeren Verstand. Es beobachtet schlecht, indem es nur vor sich hin stiert, weder zur Seite blickt, noch rück­wärts sich umsieht und am liebsten geradeaus fortrennt: dem vorder­sten nach, selbst wenn es schnurstracks in'S Verderben führt. Seine Mutterliebe und das fröhliche Hüpfen der Lämmer sind die einzigen Kundgebungen seines selischcn Lebens; sonst aber ist Fressen und Ru­hen, sowie mit den Anderen Zusammensein, Alles, worum es sich kümmert. Mit wenig Empfindung duldet es Alles und stirbt ohne einen Laut des Schmerzes. Rinder und Pferde werden, der Freiheit zurückgegeben, wieder völlig wild; das Schaf dagegen ist der völligen Abhängigkeit von den Menschen für immer verfallen.

Und doch kommt es zu der Ehre, daß Himmel und Erde von seinem Ruhme zeugen. Die heiligsten Urkunden nahmen es zu ihrem