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Die Beschäftigung des weiblichen Geschlechts in der Hand-Arbeit oder praktische Nachweisung der Thätigkeit der Frauen im Haushalte, im Verkehr, in der Klein- und Groß-Industrie, in den verschiedenen Gewerben, selbstständigen Erwerbsarten, und den zunächst damit verbundenen Absatz-Geschäften / von A. Daul. Mit einem Vorwort von Max Wirth
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Die Seidenzucht.

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zweig der ärmeren Klassen, d. h. der Lenke, welche so wenig Land haben, daß sie darauf nichts Anderes mit gleich großem Vortheil ziehen können, als den Maulbeerbaum. Denn hier kommt das Land fast gar nicht in Betracht, und mehr oder weniger Wohlhabende werden ihre Mühe und Sorgfalt in der Seidenzucht gleich gut be­lohnt sehen. Da die Nordseite der Weinberghügel sich trefflich für den Maulbeerbaum (der sich auch heckenartig anpflanzen läßt) paßt, so könnten beide Gewerbszweige, die des Winzers und des Seidcn- züchters, vereinigt und von Einer Familie getheilt betrieben werden.

Die Seidenzucht würde manchen Landbewohnern, Lehrern, kleinen Bauern, Wittwen und Kindern, welche sich mit der Zucht der Sei­denraupe beschäftigen wollten, einen sehr erwünschten Nebenerwerb sichern, zumal dieselbe fast gar kein Betriebskapital erfordert, im Vergleich der Auslagen und der verwendeten Zeit (die ganze Arbeit dauert nur 5 6 Wochen) ein sehr bedeutender Gewinn erzielt wird,

sie minderen Unfällen ausgesetzt ist, als andere ländliche Er­werbszweige, und dieselbe endlich in eine Zeit fällt, wo die wenig­sten Feldarbeiten vorkommen, nämlich von Mitte Mai bis Ende Juni.

Um das Vorhergesagte mit einem Beispiele zu belegen, erwähnen wir hier des Lehrers Brezina aus Prag, welcher auf der Pariser Ausstellung nebst verschiedenen Seidenwaarcn, Handgespinnst und Rohseide ausgestellt hatte, zu deren Gewinnung rc. ihm die Schul- mädchen an die Hand gehen müssen.

Die Seide stammt bekanntlich aus China, und ist ein Stoff, der nunmehr im Menschenleben von unermeßlicher Bedeutung gewor­den ist, mit welchem sich Kaiserinnen und Königinnen, Edel- und Bürgerfrauen festlich schmücken, der als Lumpen noch nicht einmal fortgeworfen wird, sondern aus den Händen des Trödlers oft noch als /,Putz" in den Besitz der Armen wandern muß, und der in seiner Gewinnung und Verarbeitung Hnnderttausenden den Lebens­unterhalt gewährt.

Bereits in den frühesten Zeiten wurden in China und Indien seidene Zeuge gewebt; daher darf man die Kunst, Seide zu gewin­nen, für eine der ältesten halten. Nach Ueberlieferungen soll schon früher als 2000 Jahre v. Chr. Seide in Gebrauch gewesen sein, und einer der ältesten chinesischen Geschichtschreiber führt uns die Kaiserinnen vor, wie sie, umgeben von ihren Frauen, die Seidenraupe Pflegen, Cocons abwinden und die Seide verweben. Von China aus nahmen sie die Egypter auf, von denen sie auf die Babylonicr und von diesen auf die Phönicier überging. Die Alten, welche die Seide durch dieses rege, handelstreibcnde Völklein kennen lernten, schätzten und begehrten diesen kostbaren Stoff, kannten aber doch den Ursprung desselben nicht und glaubten, daß die Seide auf Bäumen wachse.

In Europa wird die Seide zuerst bei Julius Cäsar erwähnt, der bei Festlichkeiten Seidenstoffe zur Schau ausstellte. Der Kai­ser Heligabulus (200 n. Chr.) war der Erste, der ein seidenes Kleid