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Die Beschäftigung des weiblichen Geschlechts in der Hand-Arbeit oder praktische Nachweisung der Thätigkeit der Frauen im Haushalte, im Verkehr, in der Klein- und Groß-Industrie, in den verschiedenen Gewerben, selbstständigen Erwerbsarten, und den zunächst damit verbundenen Absatz-Geschäften / von A. Daul. Mit einem Vorwort von Max Wirth
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Die Seidenzucht.

trug. Aurclian dagegen, einer seiner Nachfolger, schlug seiner Ge­mahlin die Bitte ab, ihr ein solches zu kaufen, weil der Stoff zu theuer sei. Denn der Werth seidener Zeuge wurde dem Golde gleich geachtet. Karl der Große hatte seinen Kaisermantel mit seidenen Streifen verbrämen lassen, und es lieh sich ein schottischer König einst ein paar seidene Strümpfe, als er den englischen Gesandten empfangen wollte, weil er aus eigenen Mitteln sich keine anschaffen konnte!!

In Spanien ist die Seidenzucht durch die Araber eingeführt worden. Erst im 6. Jahrhunderte verschafften griechische Mönche Aufklärung darüber, und holten trotz des in China bestandenen hohen Verbotes von dorther Eier der Seidenraupe, indem sie dieselben in ausgehöhlten Stöcken verbargen und daheim glücklich im Miste aus­brüteten. In Griechenland bewahrten die Kaiser anfänglich die Sache als ein Geheimniß, und eine geraume Zeit gab es nur dort Seiden­bau und Seidenweberei, deren Erzeugnisse durch Venetianer in Europa verbreitet wurden. Graf Roger (1130) brachte den Seidenbau von Griechenland nach Sicilien und Italien. Von da aus wurde dann die Kunst, die Seidenraupe zu züchten und die Seide von ihnen zu gewinnen, von den Mönchen, welche sie im Orient gelernt hatten, besonders von Venedig aus weiter verbreitet und zwar nach dem südlichen Tyrol und der Lombardei, nach Piemont, und gelangte 1470 unter Ludwig XI. nach dem südlichen Frankreich.

Seidene Stoffe galten damals für das Kostbarste, was der Mensch besaß; sie waren aber noch so selten und so theuer, daß nur Fürsten und sehr reiche Leute sie tragen konnten. Aber erst unter Heinrich IV. erhielt die Seidenzucht mehr Unterstützung in Frankreich, indem derselbe (1600) auf den Rath Oliviers, Seigneur du Pradel, aus Genf Leute kommen ließ, die das Maulbeerpflanzen und Rau- penfüttern verstanden, und worauf sofort über 15,000 Pflänzlinge im Tuileriengarten und an anderen Orten gepflanzt, sowie weitere Pflanzungen und Unterweisungen in der Seidenzucht angeordnet wur­den. Aber volle 1000 Jahre brauchte die Seidenzucht, ehe sie vom Bosporus her nach England eingeführt wurde, und hatte Ita­lien hierin schon eine Praxis von 400 Jahren voraus, ehe sie die Alpen überstieg.

Welchen Wechsel, welchen Aufschwung hat aber in unserer Zeit die Seidenraupenzucht und Seidenwaarenindustrie gewonnen! In Europa allein werden durchschnittlich 1215 Mill. Pfd. Seide zu einem Preise von 6080 Mill. Thalern verbraucht, und nach einer ungefähren Berechnung müssen dazu 3040,000 Mill. Raupen ihr Leben einbüßen! Besonders seit einem Menschenalter hat dieser In­dustriezweig die erstaunlichsten Fortschritte gemacht, sowohl, was die Behandlung der Würmer, als die weitere Gewinnung und Bereitung der Seide aus den Cocons angeht, und Frankreich war es, das hierin die hohe Schule für die ganze Welt geworden ist.