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Die Beschäftigung des weiblichen Geschlechts in der Hand-Arbeit oder praktische Nachweisung der Thätigkeit der Frauen im Haushalte, im Verkehr, in der Klein- und Groß-Industrie, in den verschiedenen Gewerben, selbstständigen Erwerbsarten, und den zunächst damit verbundenen Absatz-Geschäften / von A. Daul. Mit einem Vorwort von Max Wirth
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Die Brennnesiel.

als ob diese Pflanze uns ihren Segen mit Gewalt aufdrängen wollte? Warum sich nun dagegen sträuben?

Die Familie der Nesseln (Ilrlieeen) zerfällt eigentlich in drei Geschlechter, nämlich: Hopfen, Hanf, und die große Brennnessel, auch Waldnessel genannt. Da wir es jetzt nur mit dieser letzteren Spe­cies zu thun haben, müssen wir es uns versagen, auf die übrigen näher einzugehen. Die erste Aussaat geschieht am besten im Spät­herbst; und zwar sammelt man dazu einen Vorrath guten Nessel­samen, welcher wohl gereift sein und sodann nicht zu dick gesäet werden muß, indem sich der junge Stock später durch seine sehr langen Wurzeln stark bestaubet. Ein fetter Boden treibt zwar sehr dicke und lange Stengel, aber die Feinheit und Zähigkeit der Faser ge­winnt mehr auf dürftigerem Boden. Doch ist als allgemeine Regel anzunehmen, daß die Pflanzung bei etwas dichtem Wuchs besser ge­deiht und feinere Stengel treibt. Eine Nessel-Pflanzung erfordert, nachdem sie angelegt ist, wenig Arbeit; sie bietet ihre Ernte ohne Mühe, die der Mensch nur hinzunehmen braucht, um sie zu verwer­then. Da die Nessel eine perennirende Pflanze ist, d. h. ein Ge­wächs, welches durchwintert, und im folgenden Frühjahr ausschlägt, so versteht sich von selbst, daß man die Stengel bei der Ernte nicht wie den Flachs ausraufen darf, sondern man mäht sie mit der Sense ab, aber ziemlich niedrig, damit die harten Stoppeln im nächsten Jahre nicht hinderlich sind. Die weitere Zubereitung der Nessel zur Gewinnung der spinnbaren Faser kann nun ganz ähnlich der des Flachses und Hanfes vorgenommen werden. Jedoch ist diese alte Methode sehr langwierig, und deshalb auch kostspielig. Der Verfas­ser hat Versuche mit der Nessel, sowie mit etlichen anderen Pflanzen angestellt, welche auf chemischem Wege die Faser binnen wenigen Stunden klar und rein zu Tage gebracht haben. Diese chemische Zubereitung der Nesselfaser vermag mindestens innerhalb eines einzi­gen Tages aus den frisch vom Felde geernteten Nesseln das feinste seidenartige Spinn-Material, weich wie schöne Watte, hervorzubrin­gen, so fein, wie es nach der bisherigen Methode schwerlich möglich sein dürste. In dieser Zubereitung liegt gerade der große Vortheil, die Ernte rasch in Geld umzusetzen. Zeit ist Geld. Die Faser der Nessel ist so fein und weich, daß man die schönsten Damaste, Kleiderstoffe, Mousseline u. s. w. daraus verfertigen kann. An Stärke steht die Nesselfaser dem Hanf wenig nach, da der Hanf selber mit zur Familie der Nessel gehört.

Aus diesem Allen muß es nothwendig einleuchten, daß die Nessel für Industrie, Manufaktur und in mercantilischer Beziehung alle Beachtung verdient.

ES bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß das baumwollene Gewebe, welches man gewöhnlich mit dem NamenNessel" bezeichnet, nicht von der Nessel herrührt, sondern von der geringsten Sorte Baumwolle verfertigt wird."