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Die Brennnesiel.
als ob diese Pflanze uns ihren Segen mit Gewalt aufdrängen wollte? Warum sich nun dagegen sträuben?
„Die Familie der Nesseln (Ilrlieeen) zerfällt eigentlich in drei Geschlechter, nämlich: Hopfen, Hanf, und die große Brennnessel, auch Waldnessel genannt. Da wir es jetzt nur mit dieser letzteren Species zu thun haben, müssen wir es uns versagen, auf die übrigen näher einzugehen. Die erste Aussaat geschieht am besten im Spätherbst; und zwar sammelt man dazu einen Vorrath guten Nesselsamen, welcher wohl gereift sein und sodann nicht zu dick gesäet werden muß, indem sich der junge Stock später durch seine sehr langen Wurzeln stark bestaubet. Ein fetter Boden treibt zwar sehr dicke und lange Stengel, aber die Feinheit und Zähigkeit der Faser gewinnt mehr auf dürftigerem Boden. Doch ist als allgemeine Regel anzunehmen, daß die Pflanzung bei etwas dichtem Wuchs besser gedeiht und feinere Stengel treibt. — Eine Nessel-Pflanzung erfordert, nachdem sie angelegt ist, wenig Arbeit; sie bietet ihre Ernte ohne Mühe, die der Mensch nur hinzunehmen braucht, um sie zu verwerthen. Da die Nessel eine perennirende Pflanze ist, d. h. ein Gewächs, welches durchwintert, und im folgenden Frühjahr ausschlägt, so versteht sich von selbst, daß man die Stengel bei der Ernte nicht wie den Flachs ausraufen darf, sondern man mäht sie mit der Sense ab, aber ziemlich niedrig, damit die harten Stoppeln im nächsten Jahre nicht hinderlich sind. Die weitere Zubereitung der Nessel zur Gewinnung der spinnbaren Faser kann nun ganz ähnlich der des Flachses und Hanfes vorgenommen werden. Jedoch ist diese alte Methode sehr langwierig, und deshalb auch kostspielig. Der Verfasser hat Versuche mit der Nessel, sowie mit etlichen anderen Pflanzen angestellt, welche auf chemischem Wege die Faser binnen wenigen Stunden klar und rein zu Tage gebracht haben. Diese chemische Zubereitung der Nesselfaser vermag mindestens innerhalb eines einzigen Tages aus den frisch vom Felde geernteten Nesseln das feinste seidenartige Spinn-Material, weich wie schöne Watte, hervorzubringen, so fein, wie es nach der bisherigen Methode schwerlich möglich sein dürste. In dieser Zubereitung liegt gerade der große Vortheil, die Ernte rasch in Geld umzusetzen. Zeit ist Geld. — Die Faser der Nessel ist so fein und weich, daß man die schönsten Damaste, Kleiderstoffe, Mousseline u. s. w. daraus verfertigen kann. An Stärke steht die Nesselfaser dem Hanf wenig nach, da der Hanf selber mit zur Familie der Nessel gehört.
„Aus diesem Allen muß es nothwendig einleuchten, daß die Nessel für Industrie, Manufaktur und in mercantilischer Beziehung alle Beachtung verdient.
„ES bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß das baumwollene Gewebe, welches man gewöhnlich mit dem Namen „Nessel" bezeichnet, nicht von der Nessel herrührt, sondern von der geringsten Sorte Baumwolle verfertigt wird."