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Wir sind vom Meere aus fortwährend gestiegen und jetzt schon in einer Alpcnregion angekommen. Selbstverständlich meine ich damit nicht die des Schnees, weil es nur höchst selten vorkommt, daß die Spitzen der höchsten Berge einmal mit Reif bedeckt werden, sondern die, in der sich eine Alpenvegetation zeigt. Ich bin kein Pflanzenkcnner und weiß nicht, mit welchen Gewächsen wir eS zu thun haben, wohl aber, daß ich die hier vorkommenden noch nirgends gesehen habe. Die Pflanzen duften allesammt; die meisten riechen so stark, daß sie von den Beduinen benutzt werden, um Fleisch längere Zeit frisch zu erhalten, gerade als ob es einbalsa- mirt werden sollte. Einzelne Hasen und schwache Ketten zweier Arten von Rebhühnern laufen unter ihnen herum. Sonst sieht man außer den Zicgcnhcerdcn und Kamelen der Beduinen, welche an den Felsen oder Abhängen herumklettern und die würzigen Kräuter abfressen, nur wenige Thiere. Gerade heute aber hatten wir das Vergnügen, einen der seltneren Felsenbewohner beobachten zu können: den südlichen Bart- oder Lämmergeier (K^psLtos wsriäionslis, und L/az.). Um den Gipfel des Djcbkl Üm- säläf schweben fünf Stück dieser kühnen Räuber der Alpcnge- birge. In schönen Schwenkungen lassen sie sich allmählich in das Thal herab und kommen zuletzt so tief herunter, daß ich nach einem ruhig fliegenden einen Schuß mit der Büchse machen kann. Nur eine Feder fällt aus den Schwingen des herrlichen Vogels herab; er selbst setzt unbekümmert der ernstlichen Drohung seinen Weg fort.
Nicht leicht habe ich einen so schönen Flug gesehen, wie den des Lämmergeiers: er ist der des behenden Falken und nicht der des trägen Geiers. Stolz auf seine Kraft scheint der mächtige Vogel, die Heerdcn der Ziegen mit seinen Angriffen bedrohend, das kleinliche Treiben der Menschen in der Tiefe betrachten zu dürfen; er sucht seine Ruhe den Wolken näher in der schwindelnden Höhe der Felsspitzen das Djebel Serbal, Muhsa und Katharina. Dort baut er sich seinen uncrstciglichcn Horst und von dort aus beginnt er seine kühnen Räubereien. Wo er erscheint, ist er das Schrecken der Hirten und der Mütter; ihm gilt es gleich, seiner Brüt eine Ziege oder ein kleines Kind zum Fraße vorzulegen.