337
um sie warben, auch nur ein Einziger, der entfernt ihr geglichen hätte. Da erscheint ihr nach langem Harren und Wählen die heilige Jungfrau und verspricht, ihr Den zu zeigen, der sie in Allem überträfe. „Folge mir", spricht die Heilige, „ich will die Sehnsucht Deines Herzens stillen; allein sei ihm, dem Unvergleichlichen, auch treu und gehorsam, sei ihm Braut, er wird Dir Bräutigam sein und Dir der Kronen höchste, der Diademe schönstes auf Deine dunklen Locken drücken." Und sie nimmt die freudig zagende Jungfrau bei der Hand und führt sie durch Länder und Wüsten; lange nnd weit entfernt von Eltern und Vaterhause irrt sie bang dem Traumbilde ihrer Hoffnung nach; ihr Stolz beugt sich unter der Last ihrer Mühen, ihre Eitelkeit schwindet, sobald sie ihrer Bewunderer ledig geworden und noch immer hat sie den Bräutigam nicht gefunden. Klagend und ermüdet sinkt sie in einen tiefen Schlaf; da erscheint ihr die Heilige des Himmels zum zweiten Male, an der Hand ihren Sohn, den Herrn der Welt. Und befriedigt erkennt sie die Hoheit des Unübertrefflichen und dient ihm, in tiefster Oede ihre Wohnung aufschlagend, treu ihr ganzes gottseliges Leben hindurch. Fromm erwartet sie ihr Stündlein in einer Felsenhöhle des dem Berge Gottes gegenüberliegenden Djcbel Katharina. Erst Jahre lang nach ihrem Tode finden die Mönche des ncucr- richtcten Klosters den Leichnam der Heiligen und begraben ihn ehrenvoll in ihre Kirche. So erzählte mir Pietro. —
Nur frommen und reichen Russen oder Griechen wird der Sarg der Heiligen geöffnet. Wir bekamen die Gebeine nicht zu sehen, weil wir keine Lust hatten, mehrere Thaler dafür auszugeben, wie bessere Gläubige, als wir waren, wohl thun mögen. Einzelne Russen haben der Kirche des Sinai große Geschenke gemacht. Man zeigt eine Gabe des Kaisers Alexander von sehr bedeutendem Werthe.
Am 21. November. Unser heutiger Ausflug galt hauptsächlich dem Besuch des Klostcrgartcns. Schon von Weitem war er uns gestern erschienen; sein freundliches Grün inmitten der rothbraunen Felsenmasscn that dem Auge so wohl, daß das Herz sich sehnte, unter den schattigen Laubgängcn dahin zu wandeln und sich an dem klaren Wasser der Fclsquellen zu erquicken.
Hk. 22