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Zweite Reise nach dem Sudahn, Reise nach dem Sinai und Heimkehr
Entstehung
Seite
338
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Wir betraten den Garten durch den unterirdischen Gang, von welchem ich oben gesprochen habe, und kamen zuerst in einen ziem­lich in der Mitte des Gartens sich hinziehenden Weg, welcher uns zu einer Ruine führte. Nach Aussage unseres Führers diente das durch ein Erdbeben zertrümmerte Gebäude früher zu einer Sternwarte. Nebenan liegt eine kleine Kapelle mit dem sich unter ihr befind­lichen Grabgewölbe der im Kloster verstorbenen Mönche. Die Lei­chen werden aber erst beigesetzt, nachdem sie vorher in bloßer Erde begraben und durch die Verwesung zum Skelet geworden sind. Man nimmt hierzu einen Zeitraum von fünf bis sechs Jah­ren an.

Die ganze Gartenanlage zeugt von dem Siege des Fleißes über die rohe Natur. Es war wahrlich kein Kleines, den Granitfelsen ein Stückchen urbaren Erdreiches abzugewinnen; hier galt es, zu ar­beiten. Früher wirr durch einander geworfene Stcinblöcke und Fels- massen wurden zu Mauern für Terrassen umgewandelt; der von den Steinen befreite Raum wurde mit fruchtbarer Erde bedeckt, diese geebnet und zu Beeten umgeschaffcn. Weithin sich erstreckende Ka­näle wurden angelegt, um das von den Felsen herabrinncnde Wasser aufzufangen, zu sammeln und dem Garten zuzuführen. Sorgfältig wird es dort gehütet und bewacht, damit kein Tropfen des so nothwendigen Elements verloren gehen kann. Mit berech­neter Sparsamkeit wird täglich nur eine bestimmte Menge verbraucht und so ist es möglich geworden, einen Garten herzustellen. Hohe Eypressen geben ihm ein klösterliches Ansehen. Fortwährend wer­den neue Stämmchen angepflanzt, um sie zu Bäumen zu erziehen. Diese werden dann gefällt, zu Brettern und Pfosten zertheilt und im Kloster z. B. zum Ausbau von Kapellen verwendet. Es scheint, als ob seit Jahrhunderten nur ein einziger Gärtner hier gearbeitet habe. Alles wird nach bestimmten, unabänderlichen Regeln be­trieben. Man baut in dem Garten Mandeln, Feigen, Stachel- feigen, Trauben und Gemüse von ziemlicher Güte, einzig und allein zum Bedarf des Klosters. Interessant war mir ein uralter Feigen- kaktus, auf dessen verschiedenen Blättern die einzelnen Mönche Zeit und Ort ihrer Geburt und den Tag ihres Eintrittes in's Kloster